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Black Bottom

Black Bottom

Titel: Black Bottom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Keune
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Menschenmenge, die sich gar nicht vor, sondern nur neben dem Café Uhlandeck auf dem Bürgersteig drängte und entsetzt nach oben starrte. Die Kollegen sprangen aus dem Wagen, einer mit einer grammofontrichterförmigen Flüstertüte, während die übrigen zwei sich zum umlagerten Hauseingang durchboxten und die Feuerwehr mit einem Leiterwagen kurzerhand hupend auf den Bürgersteig rollte und sich daranmachte, eine große Leiter aufzurichten. Mehr Polizei traf ein und versuchte, eine Kette zwischen dem Haus und der Masse der Schaulustigen zu bilden; das war unmöglich. Polizeiknüppel wurden gezückt, Kommandos gebrüllt.
    Sándor sah auch nach oben; er lehnte sich an den Polizeiwagen und wusste nicht, ob er erleichtert oder schockiert sein sollte von dem, was er sah. Im zweiten Stock stand ein Mann mit einer lodernden Fackel – womöglich einem Tischbein, um das er allerhand Fetzen gewickelt und in Brand gesteckt hatte. In der anderen Hand hielt er eine blutig geschlagene, schreiende und weinende Frau an den Haaren fest, und der Mann selber schrie auch, kaum artikuliert, in die Menschenmenge hinunter:
    Â»â€¦ das Gas aufgedreht, euer Scheiß fliegt in die Luft … alles nur, weil diese Schlampe hier mir …«, er wurde selber von Weinkrämpfen geschüttelt.
    Der Kollege mit dem Megafon brüllte sich heiser, doch die Appelle drangen nicht durch, und als der Mann die Frau beiseiteschubste und sich daranmachte, mit der lodernden Fackel die Balkontür zur guten Stube zu öffnen, war Sándor mit einem Satz auf dem Dach des Polizeiautos, legte mit dem Dienstrevolver des Lautsprecher-Polizisten an und schoss.
    Allerdings hatte sich in diesem Moment auch die zu Boden gestoßene Frau aufgerappelt und sich kreischend auf den Mann geworfen, und unter ihrem Gewicht stürzte er mit der Fackel in der Hand durch die schon halb geöffnete Wohnungstür. Sándor warf sich auf das Autodach, ein Reflex, der richtig war, aber nicht reichte, denn die Gasexplosion traf ihn mit genug Wucht, um ihn über das Dach hinaus auf die Straße zu blasen. Der Balkon stürzte in die aufschreiende Menschenmenge und die halbe Polizistenkette, und an der Stelle, wo eben noch die Stuckverzierungen und diskreten Fensterläden eines hochherrschaftlichen Gründerzeithauses geprangt hatten, wallte eine orangerote, fauchende Feuerwalze, die die Straßenbäume entflammte wie Wunderkerzen.

BLUE NOTES
    Am Morgen saß Belfort wie versteinert an seinem Schreibtisch und blickte nicht auf, als Lehmann mit dekorativ verpflasterten Hautabschürfungen und wohl noch immer sirrendem Ohrgeräusch am Alexanderplatz auftauchte, sich geräuschvoll die Kaffeekanne herüberzog und eine Tasse einschenkte, während Fräulein Wunder, die von der Tragödie am Kurfürstendamm gelesen hatte, ihn ansah wie einen Auferstandenen.
    Â»Chef, um Himmels willen, in was sind Sie denn da gestern hineingeraten? Wieso konnten Sie wissen, dass da einer sein Haus … Du liebe Güte, was hätte Ihnen nicht alles passieren können?«
    Belfort interessierte sich heute nicht besonders für die Gefahren und Zwischenfälle des Polizeialltags, und er hatte gute Gründe dafür. Schon früh am Morgen hatte ihn ein Mann an den Fernsprecher holen lassen, den er nicht vergessen hatte, dem er vieles verdankte – und der ihn telefonisch strammstehen ließ wie einen kleinen Schuljungen. Wilhelm Frick persönlich, der Staatsminister für Inneres in Thüringen, erster Minister der NSDAP, hatte ihn angerufen. Ein Anruf von derart hoher Stelle wäre für einen Polizisten wie Belfort normalerweise eine unglaubliche Ehre gewesen, doch Frick hatte ihn abgekanzelt und zur Sau gemacht wie damals als Achtzehnjährigen.
    Damals, 1923, war Frick nach einem grandiosen Aufstieg in der politischen Polizei Leiter des Sicherheitsdienstes der Kriminalpolizei in München geworden; nur seine Beteiligung am Hitlerputsch hatte verhindert, dass er Polizeipräsident geworden war. Bei der Kripo in München hatte Belfort alles gelernt, was er heute konnte und wusste, und Frick selbst hatte seinen Zögling abgerichtet wie einen Bullterrier, scharfgemacht für einen Einsatz, der sich nicht nur gegen das Verbrechen richten sollte, sondern gegen ganz andere Feinde, für die Frick, der seit 1928 auch Vorsitzender der NSDAP-Fraktion im Reichstag war, ständig neue Begriffe fand –

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