Black Bottom
bestätigen â eine direkte Zeugenaussage aus erster Hand bekommen, dass ein Mitglied dieser Negermusikkapelle sich an dem Anschlag beteiligt hat und einen weiteren plant: ein Klarinettist mangels kulturpolizeilicher Erfassung noch nicht bekannten Namens, der in Fuhsâ Orchester mitspielt und mit seinem riesigen roten Schnurrbart leicht zu identifizieren ist. Hier, ein Kapellenfoto aus dem
Herold
â da sehen Sie den Mann!«
Gennat grunzte zufrieden und langte nach einem weiteren Kuchenstück; endlich kam wortwörtlich Musik in den Fall.
»Nach unserer gestrigen Schlappe mit Jenitzky â wir werden in der Lagebesprechung noch zu klären haben, ob die von Kollege Lehmann abgeklärte Indizienlage wirklich für eine Festnahme ausreichend gewesen ist â¦Â« Sándor glaubte, nicht richtig zu hören; was unterstand der Kerl sich da, jetzt ihm den Schwarzen Peter an der gestrigen Prügelorgie zuzuschieben? »⦠nach der gestrigen Schlappe sind wir also wieder auf Zielfahrt. Und wenn Sie mich fragen, wo die zweite Bombe hochgehen wird, kann ich Ihnen jedenfalls ein sehr lohnendes Ziel nennen, nämlich den heutigen Kapellenwettbewerb im Café Jenitzky, wo man mit einer einzigen Gasgranate gleich die halbe Jazzwucherung der ganzen Stadt mit Stumpf und Stiel ausrotten könnte.«
Fräulein Wunder war begeistert; genau für solche Enthüllungen liebte sie ihren Beruf. Belfort, dieser schneidige Kerl, hatte die schlimme Wahrheit elegant auf den Punkt gebracht. Sándor merkte, dass die ganze Verehrung, die die Sekretärin in den letzten Jahren trotz seines wenig vorbildhaften Lebenswandels für ihn entwickelt hatte, eben mit wehenden Fahnen auf seinen verhassten Kollegen übergegangen war. Auch Gennat schien sich prächtig amüsiert zu haben; er klopfte Belfort und Sándor abwechselnd auf die Schultern und erklärte:
»Gute Arbeit, Männer, und jetzt raus mit euch â schnappt euch die Burschen!«
Belfort zog eine auffallend elegante Taschenuhr aus der silbernen Weste und lieà den Deckel aufspringen.
»Das werden wir, und zwar in Kürze. In einer guten Stunde geht der Wettbewerb in der FriedrichstraÃe los, und die ersten Bands werden schon ihre Instrumente aufbauen. Wir sollten mit etwas Geschick die Bande dabei erwischen, wie sie die Gasbombe hinter die Bühne bringt â in einem Klarinettenfutteral!«
Nein, Sándor wollte nicht mit Belfort im Mordwagen fahren, den Gennat gern und umgehend zur Verfügung gestellt hatte, nicht schon wieder. Vor allem wollte er unbedingt vor dem Kollegen vor Ort sein und womöglich unterwegs einen Plan schmieden, wie er mit der absurden Situation umgehen würde, dass er einen mehrfachen Mörder jagte â und dass dieser Mörder nach einer kaum zu bezweifelnden Zeugenaussage er selbst war. Also klingelte er, sobald er allein war, weil Belfort die umfängliche personelle und technische Ausstattung des rollenden Kriminalistiklabors erst eilig zusammenstellen lassen musste, unten in der Asservatenkammer an und verlangte nach dem Besten, was die Jungs in petto hatten. Und wahrhaftig, er hatte geradezu unverschämtes Glück; ein rabenschwarzer 49er Bugatti war gestern Nacht eingetroffen, ein seltenes, eben erst herausgekommenes Luxusgefährt, mit dem die Ehefrau eines italienischen Reeders einen Gutteil seines Vermögens über die Alpen kutschiert hatte. Ihr Ziel war die Spielbank von Bad Homburg gewesen; sie hatte bei Dostojewski darüber gelesen und beschlossen, ihrem ewig untreuen Mann eine schmerzhafte Schlappe bei- und sein Vermögen am Roulettetisch durchzubringen und alles auf Rouge, Noir und Blanc zu setzen â auf die Zwillingsbrüder Blanc, die in Bad Homburg eine mondäne Anlaufstelle für das dekadente Laster geschaffen hatten: eine charmante, aber etwas anachronistische Idee, denn etwa seit 1871 waren in Deutschland Spielbanken verboten, und auch das legendäre Haus im Bad Homburger Kurpark, »die Mutter von Monte Carlo«, hatte Silvester 1872 seine Pforten vielleicht für immer schlieÃen müssen. Also hatte die Dame mit dem sündhaft teuren Bugatti ein paar Ehrenrunden durch den für Automobile eigentlich gesperrten Kurpark gedreht und war weitergefahren nach Berlin, wo sie verhaftet und das restliche Vermögen und der edle wassergekühlte Achtzylinder beschlagnahmt worden waren.
Das war ein Automobil! Sándor spürte
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