Black Box: Thriller (German Edition)
setzte ihn wieder auf.
Sergeant Burstin kam zu ihm.
»Sie können jetzt weitermachen, Detectives. Ich bin auf der Nordseite, wenn Sie mich brauchen. Wir haben einen Lkw angefordert; er wird die Tote wegbringen. Außerdem sollen wir Ihnen ein Team zur Verfügung stellen, das Ihr Auto zu einem anderen Tatort und einer anderen Leiche begleitet.«
Dann lief er aus der Durchfahrt.
»Also wirklich, Mann«, brummte Edgar. »Der komplette Wahnsinn. Wie bei Desert Storm. Oder in Vietnam. Was sollen wir hier eigentlich, Mann?«
»Jetzt quatsch hier nicht lange«, sagte Bosch. »Mach dich lieber an die Arbeit. Du übernimmst den Tatort, und ich kümmere mich um die Leiche und mache Fotos. Los.«
Bosch ging in die Hocke und öffnete den Ausrüstungskoffer. Bevor er die Patronenhülse in eine Beweismitteltüte steckte, wollte er sie an der Fundstelle fotografieren. Edgar redete weiter. Der Adrenalinschub, den die Schüsse bei ihm ausgelöst hatten, war noch nicht abgeklungen. Er redete ziemlich viel, wenn er überdreht war. Manchmal zu viel.
»Harry, hast du eigentlich gemerkt, was du getan hast, als dieser Trottel angefangen hat, loszuballern?«
»Klar. Ich bin wie alle anderen in Deckung gegangen.«
»Nein, Harry, du hast dich auf die Leiche geworfen. Ich hab’s genau gesehen. Du hast dich schützend auf Schneewittchen dort drüben gelegt, so, als ob sie noch am Leben wäre.«
Bosch antwortete nicht. Er hob das oberste Fach aus dem Koffer und nahm die Polaroidkamera heraus. Er merkte, dass sie nur noch zwei Packungen Film hatten. Sechzehn Aufnahmen und das, was noch in der Kamera war. Insgesamt vielleicht zwanzig Fotos, und sie hatten diesen Tatort und den beim MLK , zu dem sie anschließend fahren mussten. Das würde nicht reichen. Seine Frustration wuchs.
»Wieso hast du das gemacht, Harry?« Edgar ließ nicht locker.
Jetzt platzte Bosch der Kragen, und er schnauzte seinen Partner an.
»Keine Ahnung! Zufrieden? Ich weiß es nicht. Deshalb lass uns endlich an die Arbeit gehen und versuchen, etwas für sie zu tun, damit vielleicht, aber wirklich nur vielleicht, irgendjemand irgendwann in der Lage ist, daraus eine Anklage zu stricken.«
Boschs Wutausbruch hatte die Aufmerksamkeit der meisten Nationalgardisten in der Durchfahrt auf ihn gelenkt. Der Soldat, der kurz zuvor die Schießerei ausgelöst hatte, starrte ihn finster an. Er war sichtlich froh, den Mantel unerwünschter Aufmerksamkeit weiterreichen zu können.
»Ist ja gut, Harry«, sagte Edgar ruhig. »Dann mal an die Arbeit. Wir tun, was wir können. Fünfzehn Minuten, und dann geht es weiter zum nächsten.«
Bosch sah auf die tote Frau hinab und nickte.
Fünfzehn Minuten,
dachte er. Er hatte resigniert. Ihm war klar, dass dieser Fall verloren war, bevor er überhaupt begonnen hatte.
»Tut mir leid«, flüsterte er.
Der Weg der Waffe
2012
1
S ie ließen ihn warten. Die Begründung war, dass Coleman gerade beim Essen war und dass es zu Problemen führen konnte, wenn sie ihn dort einfach herausholten, weil sie ihn dann nach der Vernehmung durch Bosch im zweiten Mahlzeitenblock unterbringen müssten, in dem er möglicherweise Feinde hatte, von denen das Aufsichtspersonal nichts wusste. Und wenn ihn dann ein Mitgefangener angriff, wären die Wärter nicht darauf gefasst. Das wollten sie nicht, und deshalb legten sie Bosch nahe, die vierzig Minuten totzuschlagen, in denen Coleman an einem Picknicktisch in Hof D , wo er bereits durch die schiere Menge an Menschen geschützt war, seinen Hackbraten mit grünen Bohnen verdrückte. Alle in San Quentin einsitzenden Rolling Sixties waren denselben Mahlzeiten- und Freizeitblocks zugeteilt.
Bosch vertrieb sich die Zeit damit, seine Requisiten zu studieren und seinen Auftritt zu proben. Alles hing von ihm ab. Keine Hilfe von einem Partner. Er war auf sich allein gestellt. Wegen der Kürzungen im Reisebudget der Polizei waren inzwischen beinahe alle Gefängnisbesuche Soloveranstaltungen.
Bosch hatte am Morgen die erste Maschine nach San Francisco genommen und sich keine Gedanken über das Timing seines Besuchs gemacht. Aber die Verzögerung spielte keine Rolle. Sein Rückflug ging erst um achtzehn Uhr, und aller Voraussicht nach würde das Gespräch mit Rufus Coleman nicht lange dauern. Entweder ging Coleman auf Boschs Angebot ein oder nicht. In beiden Fällen bräuchte Bosch nicht lange mit ihm.
Das Vernehmungszimmer war eine Stahlzelle, die von einem fest installierten Tisch in zwei Hälften geteilt wurde.
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