Black Cats 01. Was kostet der Tod
übernommen hat?«
Anstelle eines Lächelns erntete er ein Schnauben. »Ich war kein süßes kleines Mädchen.« Sie senkte den Blick und rührte mit dem Strohhalm in ihrem Eistee herum. »Dad hat sich zwar bemüht, aber besonders viele weibliche Eigenschaften konnte er mir nicht einbläuen.«
Dean war da anderer Ansicht. Mit ihrem weichen Haar, der natürlichen Eleganz ihrer Bewegungen, ihrer rauen Stimme würde wohl niemand auf die Idee kommen, dieser Frau ihre Weiblichkeit abzusprechen. Stark und unabhängig, das ja. Aber trotzdem durch und durch eine Frau.
»Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein Baby war. Wir waren also nur zu dritt, mein Vater, mein Bruder und ich.«
Dean öffnete den Mund und versuchte, sich irgendeine dieser armseligen Beileidsbekundungen einfallen zu lassen, die man bei einer solchen Gelegenheit äußerte. Aber eigentlich wusste er nie so recht, was er in so einer Situation sagen sollte. Im Grunde wusste das doch keiner.
Bevor er jedoch die richtigen Worte gefunden hatte, sagte Stacey: »Noch mal zurück zu unserem Fall.«
So viel also zu Privatkram und gegenseitiger Anteilnahme. Offen gestanden war Dean erleichtert. Dergleichen lag ihm nicht. Und dass sie anscheinend nicht von ihm erwartete, dass er irgendetwas Halbherziges von sich gab, ließ seine Achtung vor ihr nur steigen.
Aber gleichzeitig fragte er sich, ob sie sich wohl jemals gestattete, verletzlich zu sein. Wie viel Platz nahmen all die verdrängten Empfindungen in ihrem Unterbewusstsein ein, mit denen sie sich nicht auseinandersetzen wollte?
»Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun, stimmt’s?«
Dean hätte in Abwehrhaltung gehen können, hätte behaupten können, dass es ihm nicht gestattet sei, über den Fall zu sprechen. Aber er hatte das Gefühl, dass es nicht nötig war, diese Taktik anzuwenden – nicht bei Sheriff Rhodes. Sie hielt das aus. Und, was wichtiger war, er glaubte, dass sie noch ihre Hilfe benötigen würden. Sie hatte ihre Fähigkeiten schon zuvor unter Beweis gestellt, als sie den richtigen Hinweis auf den Schauplatz des Mordes gegeben hatte. Und wenn in diesem Ort die gleichen Gesetze herrschten wie in den anderen Kleinstädten, in denen Dean bisher gewesen war, kannte Stacey jeden hier persönlich. Sie konnte von unschätzbarem Wert sein, wenn sie den Kreis der möglichen Verdächtigen eingrenzen mussten.
»Ja, das stimmt.«
Ihre Lippen zitterten leicht, und ihre Augenlider sanken für einen Augenblick herab, während sie diese Information verarbeitete. Jeder, der in einem Ort von dieser Größe für Recht und Ordnung zuständig war und erfuhr, dass dort ein bundesweit gesuchter Serienmörder sein Unwesen trieb, hätte ähnlich reagiert. Wenn man dann auch noch das Opfer persönlich kannte? Tja, ihr stand eine schwere Zeit bevor, so viel war klar.
»Was wisst ihr bisher über ihn?«
»Nicht besonders viel. Das meiste haben wir aus den Videos.«
»Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie schrecklich sie sein müssen«, flüsterte sie.
»Glaub mir, das willst du auch gar nicht.«
Dean presste die Lippen zusammen, als eine Flut von Bildern aus den kranken Amateurvideos, die der Sensenmann gedreht hatte, durch sein Gehirn strömte. Dieser Fall war so durch und durch schaurig, dass sogar Dean, ein erfahrener Polizeibeamter, seit einigen Nächten von Albträumen heimgesucht wurde. Albträume, in denen diese armen Frauen auftauchten. Manchmal trugen sie das Gesicht seiner Schwester oder seiner Mutter. Dean hatte sogar noch schlimmere Träume gehabt, in denen sein Sohn vorkam, obwohl zum Glück kein Kind diesen Verbrechen zum Opfer gefallen war.
Stacey konnte anscheinend an seinem Gesichtsausdruck ablesen, wie grässlich diese Videos waren. Denn ohne ersichtlichen Grund streckte sie den Arm aus und strich ihm über die Hand. Es war nur eine kurze Berührung, die nicht mehr bedeutete als einfaches, tiefes Mitgefühl. Dennoch kribbelte die Stelle auf seiner Haut noch eine ganze Minute, nachdem sie ihre Hand wieder weggezogen hatte.
»Wie viele Opfer sind es insgesamt?«, fragte sie nach einer Weile.
Dean spannte die Hand an; dann ballte er sie auf dem Oberschenkel zur Faust und konzentrierte sich auf den Fall. Er schilderte grob den Sachverhalt und teilte ihr die einschlägigen Fakten mit, wie jedem Polizeibeamten, der an dem Fall arbeitete. Denn genau das war sie. Mehr nicht.
Er wurde das Gefühl nicht los, dass er sich das in den kommenden Tagen wohl noch öfter würde bewusst machen
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