Black Cats 01. Was kostet der Tod
Abend ahnte er, was sie hier in diesem Kaff Hell Valley suchte.
April 2007, Virginia Tech. Du meine Güte!
»Ich weiß nicht, irgendwie hab ich das Gefühl, dass ich diesen Baum schon mal gesehen habe«, murmelte Stacey, während sie sich gegen eine unglaublich hohe Kiefer lehnte. »Vielleicht war es aber auch einer von seinen neuntausend Brüdern.«
Dean wusste genau, was sie meinte.
»Darf ich ehrlich sein?«, fragte sie, und ohne die Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Ich fürchte, das hier ist reine Zeitverschwendung. Der Kerl ist schlau. Glaubst du wirklich, dass er irgendetwas zurückgelassen hätte, was uns weiterhilft?«
»Die Möglichkeit besteht. Du würdest dich wundern, was für Fehler Straftäter begehen.«
»Aber dieser Kerl muss doch ein Genie sein, oder?«
»Nicht unbedingt. Irrtümlicherweise hat sich das Bild vom brillanten Scheusal à la Hannibal Lecter verbreitet. Aber die meisten methodisch vorgehenden Serienmörder sind nur leicht überdurchschnittlich intelligent. Der Typ von Verbrecher, der ohne Plan zur Tat schreitet, hat oft einen niedrigen IQ , ist aber gerissen. Je weniger intelligent der Täter ist, desto ausdauernder und brutaler kann er in Wirklichkeit sein. Wie ein Tier, das seiner Beute nachjagt, gibt er einfach nicht auf. Er hat nie Mitleid mit seinem Opfer. Sieht nichts Falsches in dem, was er tut.«
»Hat kein Gewissen«, flüsterte sie.
»Genau. Keinen moralischen Kompass. Kombiniert mit einer blutgierigen Ader, einem Schuss Pfiffigkeit, mit Entschlossenheit und einem guten Überlebensinstinkt, und schon hast du deinen John Wayne Gacey. Der war nicht gerade Astrophysiker, aber er hat Dutzende von Menschen umgebracht, bevor sie ihn gekriegt haben.«
»Unser Täter ist aber ziemlich clever. So, wie er sich das Internet zunutze macht … «
»Jeder amerikanische Sechstklässler ist clever genug, das Internet zu nutzen. Es gibt genügend Teenager, die sich gegenseitig verprügeln und dann das Video stolz auf YouTube hochladen. Das mag zwar kaum zu glauben sein, ist aber nicht besonders schwierig. Jedes beliebige Arschloch mit einer Digitalkamera und einer Breitbandverbindung kann zu seinen fünfzehn Megabyte Ruhm kommen.«
Stacey verstummte. Vielleicht war die Realität dessen, womit sie hier konfrontiert waren, schlimmer, als sie sich vorgestellt hatte. Denn ein hochintelligenter Verbrecher war möglicherweise schwer zu fassen, brachte sich aber eventuell durch seine Arroganz und das Wissen um seine Intelligenz selbst zu Fall. Ein Durchschnittstyp blieb oft unbemerkt, schlüpfte wegen seiner bloßen Unauffälligkeit durch alle Maschen. Und zwar über mehrere Jahre hinweg.
»Na gut. Vielleicht hat er also etwas liegen lassen.« Sie wandte den Kopf und richtete den Blick auf die Hunderte von Bäumen, die sie in allen Richtungen umstanden. »Aber nach siebzehn Monaten?«
In dieser Hinsicht war Dean ganz ihrer Meinung. Ihre Chancen standen nicht gut. Und sie alle waren erschöpft. Sie brauchten Verstärkung. Und sie benötigten Spürhunde.
Gerade wollte er für heute Schluss machen und vorschlagen, dass er, Stokes und Mulrooney mit der Befragung von Lisas Familie und Freunden begannen, da drang ein Knacken aus dem Funkgerät an Staceys Hüfte.
»Sheriff? Es wäre gut, wenn Sie herüberkommen könnten«, gab einer ihrer Deputys durch.
Ihre Blicke trafen sich. »Haben sie etwas gefunden?«, fragte Dean.
»Was gibt’s, Frank? Over.«
»’tschuldigung, Stacey. Hab das ›over‹ vergessen. Ähm, over?«
Dean presste die Zähne aufeinander. In seinen Schläfen begann es zu pochen.
»Schon gut. Erzählen Sie einfach, was los ist.«
»Wir haben Gesellschaft bekommen. Verdammt noch mal, Warren, legen Sie das Gewehr weg, wenn Sie nicht wollen, dass ich schieße.«
»Ach du Scheiße!« Staceys schlanker Körper spannte sich an, und sie setzte sich sofort in Bewegung. Ihre langen Beine hoben und senkten sich wie frisch geschmierte Kolben, als sie an ihm vorbeispurtete. Mit dem Funkgerät an den Lippen rannte sie zum nächsten Suchquadranten, wo ihre drei Deputys gearbeitet hatten. Mulrooney und Stokes suchten weiter südlich die Gegend ab. Sie waren zu weit weg, um ihnen jetzt behilflich sein zu können.
Dean rannte ihr hinterher; seine Füße drohten sich im Dickicht zu verfangen. Gestrüpp und spitze Zweige blieben an seiner Kleidung hängen, und er musste sich seinen Weg frei kämpfen. Sein Instinkt befahl ihm, Stacey zum Warten aufzufordern. Die jäh einsetzende
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