Black CATS - Parrish, L: Black CATS
wieder jemandem wehzutun.«
»Ich habe ihm nicht wehgetan!«, beharrte er und hörte selbst den Jammerton in seiner Stimme. Aber es stimmte. Er hatte ihm nicht so sehr wehgetan, dass er daran gestorben war; zumindest nicht mit Absicht.
Das war ein Unfall gewesen. Nur ein Unfall. Er war kein Mörder – er würde nie jemanden umbringen. Einen Unfall konnte man doch niemandem zum Vorwurf machen, oder?
Für einen kurzen Augenblick verschwand seine Mutter im Haus, und als sie zurückkam, hielt sie eine kleine Plastiktüte in der Hand, prall gefüllt mit Banknoten. Sie warf sie ihm hin. »Dein Geld. Alles, was in deinem Zimmer und auf deinem Konto war, als sie dich geholt haben. Ich habe es für dich aufgehoben. Und ich habe alles Geld dazugesteckt, das ich gerade im Portemonnaie hatte. Jetzt scher dich fort, du! Scher dich einfach fort. Ich werde für dich beten – genau wie für den kleinen Jungen, den du umgebracht hast. Aber mehr als Gebete bekommst du von mir nicht.«
Ohne ein weiteres Wort schlüpfte sie wieder ins Haus, schlug die Tür zu, verriegelte das Schloss und ließ ihn einfach auf der Veranda stehen. Allein. Zurückgewiesen. Obdachlos. Verstoßen von der eigenen Mutter.
Wut stieg in ihm auf. Nicht ihretwegen; auf sie konnte er einfach nicht wütend sein, im Leben nicht. Aber auf die Behörden, die ihn verfolgt hatten, die ihn in diesen Gerichtssaal gezerrt und diesen hässlichen Prozess in die Länge gezogen hatten, den seine Ma hatte aussitzen müssen. Sie war im Saal gewesen, als diese blonde Schlampe ausgesagt hatte. Sie hatte die Bilder von dem Jungen gesehen.
DieBehördenwarenschulddaran,dasserjetztsoinderKlemmesteckte.Dashätteniepassierendürfen – dieses FBI -Laborwarkorrupt,dashattesogarseineAnwältingesagt.ErhättenievorGerichtgestelltwerdendürfen.HätteniediesenAusdruckvonHassindenAugenseinereigenenMuttersehensollen.
Er schwankte von der Veranda und lief ziellos die Straße entlang. Er hatte keine Bleibe. Und niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben. Himmel, genauso gut konnte er zum Gefängnis zurückfahren und sich für den Rest seines Lebens den Schlägen und Vergewaltigungen aussetzen. Oder einfach auf der Stelle sterben.
Ein Klingeln unterbrach seine düsteren Gedanken. Er hatte das Handy völlig vergessen, das Ms Vincent ihm gegeben hatte. Es steckte in seiner Tasche, ohne dass er es bisher benutzt hatte – es gab einfach niemanden, den er hätte anrufen können.
Behutsam zog er es hervor – er wusste nicht einmal genau, wie es eigentlich funktionierte – und klappte es auf. »Hallo?«, sagte er zaghaft.
»Hallo, Jesse.«
Die Stimme klang eigenartig, blechern und künstlich. Wie diese Computerstimmen, an die man geriet, wenn man bei einer Kundenservicenummer anrief. »Wer ist da?«
»Ich bin Ihr Wohltäter, Jesse. Ich habe Ms Vincent engagiert, um Sie zu vertreten.«
Er kam an einer leeren Bushaltestelle vorbei und stellte sich dort unter, um ungestört sprechen zu können. »Dann wissen Sie es schon? Dass sie mich rausgeholt hat?«
»Ich habe es gerade erfahren. Gratuliere. Genießen Sie Ihre Freiheit?«
Mit der Zehenspitze trat Jesse gegen einen Kiesel auf dem Bürgersteig. »Geht so.«
Nach einer kleinen Pause fuhr die Stimme fort: »Ich sage das nur ungern, aber vielleicht gibt es da ein Problem. Über äußerst verlässliche Quellen ist mir zu Ohren gekommen, dass die FBI -Agentin, die gegen Sie ausgesagt hat und deren Leiche nie gefunden wurde, möglicherweise doch nicht tot ist.«
Noch vor fünf Minuten war Jesse bereit gewesen, aufzugeben, zu sterben oder ins Gefängnis zurückzukehren. Jetzt allerdings, als er an diese Frau dachte, als er begriff, dass sie vielleicht immer noch am Leben war, durchfuhr ihn blankes Entsetzen, gemischt mit einem Schuss Panik. Er taumelte zurück ins Wartehäuschen, ließ sich auf die Bank fallen und holte tief Luft. »Das ist ein Scherz, oder?«
»Ich fürchte, nein. Offenbar fahnden die Behörden gerade nach ihr. Wenn jemand sie finden kann, dann wahrscheinlich ihre ehemaligen Kollegen. Ein gewisser Special Agent Blackstone könnte sogar bereits wissen, wo sie sich aufhält.«
Jesse hämmerte mit dem Schädel gegen die Wand hinter ihm. »Das darf doch nicht wahr sein!«
»Kopf hoch. Ich glaube nicht, dass es überhaupt eine Rolle spielt. Offensichtlich lag sie mit ihren Anschuldigungen gegen Sie falsch, und jetzt, wo Sie ein Alibi haben, ist das Ganze gar kein Problem. Jedenfalls nicht, solange dieses Alibi
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