Black Dagger 10 - Todesfluch
hatte.
Endlich regte sich ein Gefühl in ihr, und es war eines, das ihr Tränen in die Augen trieb. Der einzige Weg, sich selbst zu retten, war, ihre Sehnsucht nach Vishous loszulassen; das war der Schlüssel zur Tür. Doch wenn sie das täte, dann hätte
sie das Gefühl, ihn im Stich zu lassen, ihn allein einer kalten, bitteren Zukunft auszusetzen. Denn sie wusste ja genau, wie sie selbst sich fühlen würde, wenn er sterben würde.
Jäh verdichtete sich der Nebel noch weiter, und die Temperatur sank ab. Sie sah an sich herunter. Ihre Beine verschwanden … zuerst nur bis zu den Knöcheln, nun schon bis zu den Waden. Sie versickerte ins Nichts, zerrann.
Jane begann zu weinen, als sie einen Entschluss fasste, sie vergoss Tränen angesichts der Selbstsüchtigkeit dessen, was sie tun musste.
Doch wie sollte sie ihn loslassen?
Immer höher kroch der Nebel an ihren Beinen, und sie geriet in Panik. Sie wusste nicht, wie sie tun sollte, was sie tun musste –
Da endlich fand sie die Antwort, und sie war schmerzlich und einfach.
O … Gott … Loslassen bedeutete, hinzunehmen, was man nicht ändern konnte. Man klammerte sich nicht an der Hoffnung fest, um eine Änderung der Zukunft zu erzwingen … und man kämpfte auch nicht gegen die übermächtigen Kräfte des Schicksals an oder versuchte, sie seinem Willen zu unterwerfen … und man flehte auch nicht um Rettung, weil man glaubte, es besser zu wissen. Loslassen bedeutete, dass man mit klarem Blick sah, was vor einem lag, und erkannte, dass Wahlfreiheit die Ausnahme und Vorsehung die Regel war.
Kein Feilschen. Kein Versuch, zu kontrollieren. Man gab auf und begriff, dass derjenige, den man liebte, nicht die eigene Zukunft war, und dass man nichts dagegen tun konnte.
Tränen fielen aus ihren Augen in den wirbelnden Dunst, als sie ihre vorgetäuschte Stärke aufgab und aufhörte, sich gegen die Lösung des Bandes mit Vishous zu wehren. Sie
hatte in diesem Augenblick kein Vertrauen, keine Zuversicht, sie fühlte sich leer wie der Nebel um sie herum: Sie war ein Leben lang Atheistin gewesen und stellte fest, dass sie es im Tod ebenfalls war. Sie glaubte an nichts, und nun war sie nichts. Und genau da passierte das Wunder.
Ein Licht fiel von oben herab, beschützte sie, wärmte sie, durchflutete sie mit etwas, das genau wie ihre Liebe zu Vishous war: eine Segnung.
Als sie nach oben gezogen wurde wie ein Gänseblümchen, das von sanfter Hand gepflückt wird, erkannte sie, dass sie immer noch lieben konnte, wen sie liebte, auch wenn sie nicht bei ihm war. Ja, ihre sich voneinander entfernenden Pfade zerstörten und entweihten ihre Gefühle nicht. Zwar legte sich ein Mantel bittersüßer Sehnsucht darüber, doch das änderte nichts an dem, was in ihrem Herzen war. Sie konnte ihn lieben und auf der anderen Seite des Lebens auf ihn warten. Denn die Liebe war ewig und nicht den Launen des Todes unter worfen. Jane war frei … und flog empor.
Phury verlor gleich den Verstand.
Allerdings musste er sich damit hinten anstellen, denn alle Brüder standen kurz vor dem Durchdrehen. Besonders Butch, der im Arbeitszimmer auf und ab wanderte wie ein Gefangener in Einzelhaft.
Keine Spur von Vishous. Kein Anruf. Nichts. Und die Morgendämmerung donnerte heran wie ein Güterzug.
Butch blieb stehen. »Wo würde man eine Beerdigung für eine Shellan abhalten?«
Wrath runzelte die Stirn. »In der Grotte.«
»Glaubst du, er hat sie vielleicht dorthin gebracht?«
»An sich war er nie so scharf auf diese ganzen Rituale, und jetzt wo seine Mutter ihn verlassen hat …?« Wrath schüttelte den Kopf. »Dorthin würde er nicht gehen. Außerdem hätte
er gewusst, dass wir möglicherweise dort nach ihm suchen würden, und er ist so ein verdammter Einzelgänger. Angenommen er würde sie begraben – dabei würde er kein Publikum wollen.«
»Auch wieder wahr.«
Butch nahm seine Wanderung wieder auf. Die Standuhr schlug halb fünf.
»Wisst ihr was?«, meinte er. »Ich geh das trotzdem abchecken, wenn das in Ordnung ist. Ich halte es hier keine Sekunde länger aus.«
Wrath zuckte mit den Schultern. »Von mir aus. Sonst haben wir ja nichts zu tun.«
Jetzt stand Phury auf, er hielt das Warten ebenfalls nicht mehr aus. »Ich komme mit. Jemand muss dir zeigen, wo der Eingang ist.«
Weil Butch sich nicht dematerialisieren konnte, stiegen die beiden in den Escalade. So kurz vor Sonnenaufgang machte Phury sich nicht die Mühe, den Umweg über die Straße zu nehmen, sondern brauste sofort
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