Black Dagger 11 - Blutlinien
Spritze gesetzt hatte, löste sie den Gummischlauch und verstaute das Zubehör wieder in der Schublade.
Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Selbst mit geschlossenen Lidern bestand das Rot fort.
»Wie lange geht das schon so?«, fragte sie ruhig. »Das mit den doppelten Dosen? Das Spritzen ohne Desinfektion? Wie oft am Tag machst du das?«
Er schüttelte nur den Kopf.
Kurze Zeit später hörte er, wie sie die Tür öffnete und Trez bat, den Bentley vorzufahren. Er wollte gerade heftig protestieren, doch sie zog einen seiner Zobelmäntel aus dem Schrank.
»Wir fahren jetzt zu Havers«, erklärte sie. »Und wenn du Streit mit mir anfängst, dann rufe ich die Jungs rein und lasse dich raustragen wie einen aufgerollten Teppich.«
Rehv funkelte sie wütend an. »Du bist hier … nicht der Chef.«
»Stimmt. Aber verlass dich drauf: Wenn ich den Jungs draußen stecke, wie entzündet dein Arm ist, dann holen die nicht mal mehr Luft, bevor sie dich mit Gewalt hier wegschleppen. Wenn du nett bist, würdest du vielleicht auf dem Rücksitz statt im Kofferraum landen. Wenn du dich wie ein Idiot aufführst, darfst du die Kühlerfigur spielen.«
»Leck mich.«
»Das haben wir schon ausprobiert, weißt du noch? Und es hat keinem von uns beiden gefallen.«
Mist, daran wollte er genau jetzt wirklich nicht erinnert werden.
»Sei nicht dumm, Rehv. Dieses Mal kannst du nicht gewinnen, also warum sich wehren? Je eher du gehst, desto
eher bist du zurück.« Sie starrten einander zornig an, bis sie schließlich sagte: »In Ordnung, wir erzählen nichts von den doppelten Portionen. Lass Havers einfach nur einen Blick auf deinen Arm werfen. Ich sage nur: Sepsis.«
Als würde der Doc nicht von selbst dahinterkommen, was hier los war, wenn er das sah.
Rehv stützte sich auf seinen Stock und erhob sich langsam. »Mir ist zu heiß … für den Mantel.«
»Ich nehme ihn trotzdem mit, damit du nicht frierst, wenn die Wirkung des Dopamins einsetzt.«
Xhex bot ihm den Arm an, ohne ihn dabei anzusehen, da sie wusste, dass er viel zu stolz und dickköpfig war, um ihre Hilfe sonst anzunehmen. Und er musste sich von ihr helfen lassen. Er war völlig geschwächt.
»Ich hasse es, wenn du Recht hast«, sagte er.
»Was erklärt, warum du meistens so leicht reizbar bist.«
Zusammen liefen sie langsam aus dem Büro und auf die Straße hinaus.
Der Bentley wartete schon, Trez saß am Steuer. Der Maure stellte keine Fragen und machte keine Bemerkungen, wie es seine Art war.
Und natürlich setzte einem die drückende Stille immer noch mehr zu, wenn man sich wie ein Arsch benahm.
Rehv ignorierte, dass Xhex sich dicht neben ihn auf die Rückbank setzte, als hätte sie Angst, ihm könnte schlecht werden.
Dann fuhr der Bentley so sanft wie ein fliegender Teppich los, und das passte gut zum Thema, denn Rehv fühlte sich, als säße er auf einem. Im Augenblick kämpfte seine Symphathen-Natur gegen sein Vampirblut, er schwankte zwischen seiner bösen Seite und seiner halbwegs anständigen hin und her, und diese Verschiebungen des moralischen Schwerpunkts verursachten ihm Übelkeit.
Vielleicht hatte Xhex nicht ganz Unrecht mit ihrer Sorge, er müsste vielleicht kotzen.
Sie bogen links auf die Trade Street ein, fuhren bis zur Tenth Avenue und rasten dann Richtung Fluss, wo sie auf den Highway wechselten. Vier Ausfahrten weiter verließen sie ihn und glitten durch ein teures Viertel, in dem riesige Kästen auf parkähnlichen Grundstücke weit von der Straße zurückgesetzt thronten, wo Könige darauf warteten, dass man vor ihnen niederkniete.
Mit seiner roten, zweidimensionalen Sicht konnte Rehv mit den Augen nicht viel erkennen; mit seinen Symphathen-Instinkten hingegen wusste er zu viel. Er konnte die Menschen in den protzigen Häusern spüren, registrierte die Bewohner anhand des emotionalen Abdrucks, den sie hinterließen, dank der Energie, die ihre Gefühle freisetzten. Sein Sehvermögen war zwar flach wie ein Fernseher, doch seine Wahrnehmung von Lebewesen war dreidimensional : Sie zeichneten sich als psychisches Raster ab, das Wechselspiel von Freude und Trauer, Schuld und Lust, Wut und Schmerz schuf Gebilde, die für ihn so greifbar waren wie ihre Häuser.
Wenn auch sein Blick nicht durch die Schutzmauern und die schlau gepflanzten Bäume dringen, nicht das Mauerwerk der Domizile durchbrechen konnte, so sah das Böse in ihm doch die Männer und Frauen darin so deutlich, als stünden sie nackt vor ihm, und seine Instinkte erwachten
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