Black Dagger 19 - Liebesmond
dahin, und nur sein Wille zur Vergeltung hielt ihn noch aufrecht.
Er brauchte dringend Blut. Und doch schien er es abzulehnen, sich dem fleischlichen Diktat zu beugen.
Also wartete und beobachtete sie ihn besorgt zu Beginn und Ende jeder Nacht: Bei jedem Sonnenuntergang hoffte sie, dass er endlich erfrischt erscheinen würde. Und jedes Mal, wenn die Morgendämmerung nahte, betete sie, dass er lebend zurückkam.
Gütige Jungfrau der Schrift, er …
» Du siehst scheiße aus«, bemerkte einer seiner Brüder.
Tohrment überging den Kommentar und trat zu dem riesenhaften jungen Vampir, der sich mit Xhexania verbunden hatte. Die beiden waren ein Team, soweit No’One das beurteilen konnte, und sie war dankbar dafür. Der junge Vampir musste ein Vollblut sein, trotz seines merkwürdigen Namens, und sie hatte viel von seinen Heldentaten im Kampf gehört. Außerdem war dieser spezielle Kämpfer nie allein: Hinter ihm stand, treu wie ein Schatten, ein ausgesprochen fies aussehender Kämpfer mit zwei verschiedenfarbigen Augen und einem berechnenden Blick, der vermuten ließ, dass er genauso gerissen wie stark war.
Sie musste einfach darauf hoffen, dass diese beiden eingreifen würden, wenn Tohrment in Gefahr geriet.
» Gefällt dir die Aussicht? Mir nämlich nicht.«
No’One wirbelte zischend herum, sodass sich der Saum ihrer Robe bauschte. Lassiter war unbemerkt durch die Speisekammer gekommen und füllte jetzt die offene Tür aus, und das Licht der Lampe über ihm glänzte auf seinem blond-schwarzen Haar und den goldenen Piercings.
Wie immer weckte sein wissender Blick Fluchtgedanken bei ihr, aber zumindest ruhten diese weißen Augen diesmal nicht auf ihr.
No’One verschränkte die Arme, vergrub die Hände in ihren Ärmeln und widmete sich wieder ihrer Betrachtung von Tohrment. » Fürwahr, es ist mir ein Rätsel, wie er noch immer kämpfen kann.«
» Es ist an der Zeit. Er kann sich nicht mehr länger drücken.«
No’One war sich nicht ganz sicher, was der Engel damit meinte, aber sie konnte es erraten. » Es gibt Auserwählte hier, die sich zum Nähren anbieten. Sicher könnte er doch eine von ihnen benutzen?«
» Das sollte man verdammt noch mal meinen.«
Beide wurden sie kurz abgelenkt, als Wrath, der Blinde König, am Kopf der Treppe erschien und zu den Versammelten herunterkam. Auch er war für den Kampfeinsatz gekleidet, und sein geliebter Hund war nicht bei ihm – heute wurde er von seiner Königin geführt. Die beiden bewegten sich in vollkommenem Einklang und glichen einander in Haltung, Gang und Anmut.
Eine solche Harmonie hatte es in Tohrments Leben auch einmal gegeben, ging es No’One durch den Kopf.
» Ich wünschte, man könnte ihm irgendwie helfen«, murmelte sie. » Ich würde alles dafür tun, um ihn nicht mehr allein in seinem Leid zu sehen.«
» Meinst du das ehrlich?«, fragte der Engel finster.
» Selbstverständlich.«
Lassiters Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. » Meinst du das wirklich ehrlich?«
Sie wollte einen Schritt zurückweichen, doch der Türstock ließ es nicht zu. » Ja …«
Der Engel streckte ihr die offene Hand entgegen, damit sie einschlug. » Schwöre es.«
No’One runzelte die Stirn. » Ich verstehe nicht …«
» Du behauptest, du würdest alles tun – ich will, dass du das schwörst.« Jetzt brannten seine weißen Augen. » Wir kommen seit dem Frühling nicht vom Fleck, und schon damals hatten wir nicht ewig Zeit. Du sagst, dass du ihn retten willst, und ich will, dass du dich dazu verpflichtest – koste es, was es wolle.«
Als hätte ihr jemand die Erinnerung in den Kopf gepflanzt – vielleicht der Engel, wahrscheinlicher aber ihr Gewissen –, musste sie plötzlich an den Moment kurz nach Xhexanias Geburt denken. Damals waren der körperliche Schmerz und die geistige Marter ein und dasselbe gewesen, ein Gleichgewicht wurde erreicht, als der Schmerz in ihrem Herzen über all ihre Verluste eine Entsprechung tief in ihrem Schoß fand …
Sie hatte diese Last nicht ertragen, und so hatte sie Tohrments Dolch aus seinem Brusthalter genommen und ihn zu einem Zweck entfremdet, der ihn aufschreien ließ.
Sein heiserer Schrei war das Letzte gewesen, das sie gehört hatte.
Sie blickte zu dem Engel auf. Sie war nicht einfältig und auch nicht mehr so naiv wie einst. » Ihr meint, ich soll ihn nähren.«
» Ja, das meine ich. Es ist Zeit für die nächste Stufe.«
No’One musste sich innerlich stählen, bevor sie ihren Blick wieder auf Tohrment richten
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