Black Dagger 19 - Liebesmond
Glymera. Kräftige Leute mit vornehmen Zügen wurden automatisch für intelligent gehalten, auch wenn sie das gar nicht waren.
Als sich Assail an einem Gegenstand zu schaffen machte, runzelte Xcor die Stirn und fragte sich, ob er wohl schon Gespenster sah. Aber nein. Es hatte ganz den Anschein, als würde der Kerl tatsächlich eine Schusswaffe überprüfen, und das mit einer erstaunlichen Routine. Nachdem er sie unter die perfekt sitzende schwarze Anzugjacke gesteckt hatte, hob er eine zweite auf und unterzog sie ebenfalls der Inspektion.
Merkwürdig.
Oder hatte ihn der König vielleicht gewarnt, dass bei seinem Besuch mit Komplikationen zu rechnen war?
Aber nein, das wäre dumm. Wenn man die mächtigste Position der Spezies innehatte, wollte man doch nicht bedrängt erscheinen.
Ganz besonders nicht, wenn es der Wahrheit entsprach.
» Er geht«, vermeldete Xcor, als Assail in Richtung Garage lief. » Er trifft sich nicht mit Wrath. Zumindest nicht heute – oder ganz bestimmt nicht hier. Los geht’s, über den Fluss. Jetzt.«
Im Nu dematerialisierten sie sich und nahmen im Kieferngehölz am Rande des Grundstücks wieder Gestalt an.
Jetzt erkannte Xcor, dass er sich bezüglich der Begrünung geirrt hatte. Der Rasen war mit kreisrunden Flecken durchsetzt, auf denen langsam Gras nachwuchs, und hinter dem Haus stapelten sich keine Holzscheite, sondern ganze Bäume.
Und dann gab es noch eine Axt in einem Baumstumpf, eine Bogensäge … und frisch geschnittenes, zu Bündeln geschnürtes Brennholz.
Also hatte Assail doch zumindest einen Doggen. Und augenscheinlich war ihm auch bewusst, dass man Angreifern keine Deckung bieten durfte. Es sei denn, er hatte die Bäume der besseren Aussicht wegen gefällt.
Aber auf der Rückseite des Hauses gab es außer Wald nicht viel zu sehen.
Tatsächlich schien Assail kein durchschnittlicher Vertreter des Adels zu sein, dachte Xcor grimmig. Die Frage war nur, warum.
Das Garagentor, das dem Haus am nächsten lag, hob sich lautlos und enthüllte dabei einen immer größer werdenden Lichtkegel. Drinnen wurde ein starker Motor auf Touren gebracht, und dann kam ein tiefer gelegtes, funkelndes schwarzes Ding rückwärts zum Vorschein.
Vor der Garage blieb das Gefährt stehen. Geduldig wartete Assail, bis sich das Tor wieder senkte und das Haus gesichert war.
Und als er schließlich losfuhr, tat er das langsam und ohne Licht.
» Wir folgen ihm«, befahl Xcor, setzte das Fernglas ab und hakte es an seinem Gürtel ein.
Sie dematerialisierten sich in Intervallen. Auf diese Weise gelang es ihnen, Assail den Fluss entlang in die Stadt zu folgen. Und Assail machte ihnen die Verfolgung einfach: Obwohl er da am Steuer eines ziemlich flotten Sportwagens saß, schien er offensichtlich keine Eile zu verspüren … was Xcor unter anderen Gegebenheiten damit erklärt hätte, dass er ein typischer Aristokrat war, der nichts Besseres zu tun hatte, als ein gutes Bild in einem Ledersitz abzugeben.
Aber in diesem Falle traf das vielleicht nicht zu …
Der Wagen hielt an allen roten Ampeln, mied den Highway und arbeitete sich mit dem gleichen Mangel an Eifer in das Straßengewirr der Innenstadt vor.
Assail bog links ab, dann rechts … wieder links. Und noch einmal links. Weitere Abzweigungen folgten, bis er im ältesten Dickicht der Stadt war, dort, wo die Backsteingebäude verwahrlosten und Missionen und Suppenküchen für Obdachlose dichter gesät waren als Geschäfte, in denen man für Profit arbeitete.
Umständlicher hätte man nicht dorthin gelangen können.
Xcor und seine Soldaten dematerialisierten sich von Hausdach zu Hausdach und verfolgten ihn, was immer kniffliger wurde, je tiefer sie in die Stadt vordrangen.
Doch schließlich hielt der Wagen in einer schmalen Gasse zwischen einem zum Abriss freigegebenen Mietshaus und der zerfallenen Außenwand eines alten Wohnhauses. Assail stieg aus und zog an seiner Zigarre. Der süße Rauch wehte bis zu Xcor hinauf.
Einen Moment lang fragte sich Xcor, ob man sie in eine Falle gelockt hatte – und als er nach seiner Pistole langte, taten es ihm seine Männer gleich. Doch dann erschien eine große schwarze Limousine, vollführte eine Wendung und rollte in die Gasse. Als sie vor Assail zum Stehen kam, wurde klar, wie clever er sich postiert hatte. Anders als die Neuankömmlinge hatte der Vampir an einer Gabelung geparkt, sodass ihm alle Richtungen offen standen.
Schlau, wenn man wegkommen wollte.
Menschen stiegen aus dem anderen Fahrzeug.
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