Black Dales
dann mit einem enormen Tempo weiterzutippen.
Seit Beginn der Fahrt hatten sie noch nicht viel miteinander geredet. Anke hatte ihm nur erst einmal die grobe Richtung vorgegeben und sich dann gleich an ihre Arbeit gemacht. Richard hing seinen Gedanken hinterher. Hinterher ist wohl nicht das passende Wort, denn er blickte nach vorn. Kein Gedanke der neuerlichen Geschehnisse plagte ihn mehr.
Statuen zu fotografieren, als seien es lebende Menschen… Dazu brauche ich spannendes Licht, Wetter und Zeit, Zeit um mich mit ihnen vertraut zu machen, ihnen auf den Grund zu gehen. Ja, ich muss ihnen auf den Grund gehen…
„Sie müssen mir rechtzeitig Bescheid geben, wenn ich irgendwo abbiegen soll. Ich kenne ja unser Ziel gar nicht.“
Sie hob ihren Kopf und blickte auf die Straße.
„Wir sind noch richtig. Wir müssen noch einige Kilometer der Landstraße folgen. Ich sage Ihnen schon Bescheid.“
„Wo steht den unser erster Engel?“
„Auf dem alten Friedhof von San Bernardo, einem kleinen Bergdorf. Es ist eine besonders schöne weibliche Engelsstatue vor einer kleinen Kapelle. Die Geschichte um diese Statue ist übrigens höchst bemerkenswert. Über den Künstler, der sie im achtzehnten Jahrhundert erschuf, heißt es, er hätte die Statue nach dem Ebenbild seines Schutzengels, der ihm begegnet sei, erschaffen. Er soll besessen davon gewesen sein, sie in jeder nur möglichen Form darzustellen. Es gibt mehrere Statuen von diesem Engel im ganzen Land verteilt. Auch gemalt hat er sie. Er soll sich unsterblich verliebt haben, in seinen Schutzengel. Man sagt, er hat nach dieser Begegnung nie wieder eine Frau gehabt.“
„Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte nun romantisch finden oder ob ich diesen armen Kerl einfach nur bedauern soll?“
Anke warf ihm einen ihrer kessen Blicke zu und machte sich gleich wieder an ihrem Notebook zu schaffen, das auf ihren leicht gespreizten Oberschenkeln ruhte. Sie trug ein kurzes, leichtes Sommerkleid, was durch die Stellung ihrer Beine recht weit hoch gerutscht war.
Richard ertappte sich dabei, bisweilen einen flüchtigen Blick ihrer schönen Beine zu erhaschen.
Während sie schrieb und dabei ihren Kopf nach unten neigte, betrachtete er ihren grazilen Nacken, der durch ihr hochgestecktes Haar zur Geltung kam.
Diese edle, weiße Haut, nicht etwa transparent weiß, nein, eher wie frisch polierter Marmor…
„Hier jetzt rechts ab!“, wurde er unverhofft von Anke aus seinen Beobachtungen gerissen.
Er navigierte den Wagen souverän nach rechts, auf eine schmale Straße, die in Serpentinen bergauf führte. Die Landschaft wechselte urplötzlich. Üppiger Wald links, Abgrund rechts. Dann bizarr aufsteigender Fels.
Es war, als tauchten sie in eine andere Welt ein.
Die Kurven waren eng und steil. Von nun an ging es nur langsam voran. Vom dritten in den zweiten Gang und wieder in den dritten. Kurve für Kurve. Nach ca. vierzig Minuten überquerten sie den Gebirgskamm. Es ging hinab in ein enges Tal, in dem ein pittoreskes Dorf eingebettet lag.
„Hier ist unser erstes Etappenziel“, sagte Anke.
Sie fuhren in das Dorf hinein. Die Straße führte gerade auf den kleinen Dorfplatz mit der Kirche zu. Auf dem Platz hielt Richard an.
„Ich habe Hunger. Gehen wir was essen, bevor wir mit der Arbeit beginnen. Ich arbeite nicht gern mit leerem Bauch.“
Sie setzten sich draußen vor eine Pizzeria am Dorfplatz. Der Platz war wirklich klein und wirkte eng. Er war umsäumt von niedrig gewachsenen Bäumen. Die Häuser des Dorfes waren aus dem Fels der Berge gemauert, ebenso wie die Kirche auf der anderen Seite des Platzes. Hinter den Häusern stiegen schroffe Felsen steil empor.
Sie aßen ihre Pizza, wahrend sie von der Dorfjugend, die auffällig unauffällig mit ihren Fahrrädern an ihnen vorbeifuhr, begafft wurden.
„Wir scheinen ja hier ganz ab von allen touristischen Routen zu sein“, schmunzelte Richard, nach der Pizza, in sein Bierglas hinein.
„Ja, ich schätze auch, dass sich außer ein paar Fahrradtouristen selten fremde Gäste hierher verirren. Der Ort hat außer dieser einen Engelsstatue nichts zu bieten. Der Künstler, er heißt übrigens Salvatore Fiorente, ist hier lediglich geboren und aufgewachsen. Er hat später im ganzen Land frei oder im Auftrag gearbeitet. Die Statue, die wir fotografieren wollen, hat er erst kurz vor seinem Tod geschaffen und hier aufstellen lassen, hier, wo er seinem Engel begegnet ist und wo er begraben werden wollte. Sein Grab befindet sich auch
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