Black, Jenna - Die Exorzistin Bd. 1 - Dämonenkuss
Illusion konnte ich für die Dauer von ungefähr dreißig Sekunden aufrechterhalten. Dann fiel mir das Blatt Papier auf, das auf dem Nachttisch lag. Diesmal war die Notiz beinahe lang genug, um als Brief durchzugehen.
Widerwillig nahm ich sie vom Nachttisch und begann sie zu lesen.
Ich bin kein Produkt deiner Fantasie. Ich heiße Lugh. Vor zwei Monaten hast du mich freiwillig in dir aufgenommen. Du standest damals unter Drogen. Deswegen kannst du dich an nichts erinnern. Es war an dem Abend, als Andrew dich k. o. schlug. Ich glaube, er hat dich geschlagen, damit deine Erinnerung an den Abend vernebelt sein würde.
Man benutzt dich, um mich gefangen zu halten. Ich hätte nie freiwillig Besitz von dir ergriffen. Man hat mich bei meinem Hamen gerufen, deswegen hatte ich keine andere Wahl, als zu gehorchen. Deine psychischen Abwehrmechanismen sind so stark, dass ich sie kaum überwinden kann. Du kämpfst sogar noch gegen mich an, während du …
Mehr hatte er nicht geschrieben. Hatte ich nicht geschrieben. Wie auch immer.
Sollte ich tatsächlich von einem Dämon besessen sein, hatte ich es wohl irgendwie geschafft, ihn mitten in seinem Brief aus meinem Bewusstsein zu drängen.
Ich zitterte. Mir selbst einzureden, dass ich unmöglich besessen sein konnte, ohne etwas davon zu wissen, war schön und gut. Aber diese Phantasterei kam mir inzwischen doch etwas zu durchdacht vor, als dass es sich dabei nur um ein Produkt meines Unterbewusstseins handeln konnte.
Wo sollte ich zum Beispiel diesen Namen herhaben: Lugh? Den hatte ich noch nie gehört. Es klang nach einem männlichen Namen, und ich stellte mir diesen Dämon auch als einen »er« vor. Was ein weiterer Beweis dafür war, dass ich mir alles doch nur einbildete. Wäre ich wirklich besessen, müsste ich eigentlich von einem weiblichen Dämon besessen sein. Es war zwar nicht unmöglich für Dämonen, in einen andersgeschlechtlichen Körper einzudringen – aber normalerweise machten sie das nicht gerne. Andererseits behauptete mein imaginärer Dämon, dass er gegen seinen Willen dazu gebracht worden sei, von mir Besitz zu ergreifen. Seine üblichen Präferenzen hätten dabei also vermutlich keine Rolle gespielt.
Aber nein, ich litt unter Wahnvorstellungen. Das war alles nur eine Reaktion auf mein letztes Gespräch mit Andrew/ Raphael. Ich trug ihm immer noch nach, dass er mich k. o. geschlagen hatte, deswegen hatte ich mir diese billige Horrorgeschichte ausgedacht. Ja, genauso war’s.
Unglücklicherweise hatte ich Schwierigkeiten, mir diese Version abzukaufen.
Diesmal zerstörte ich die Notiz nicht, sondern nahm sie mit in die Küche und las sie ungefähr hundert Millionen Mal, während ich meinen morgendlichen Kaffee trank. Ganz ehrlich: Ich hatte noch nie von einem Menschen gehört, dessen Persönlichkeit so stark war, dass nicht er selbst, sondern der Dämon zum hilflosen Gefangenen in seinem Körper wurde. Aber dass ich noch nie davon gehört hatte, hieß noch lange nicht, dass es so etwas nicht geben konnte.
Der Name, den ich mir für meinen imaginären Dämon ausgedacht hatte, hörte nicht auf, mir im Kopf herumzugehen, und schließlich schaute ich nach, was sich im Internet dazu finden ließ. Ich hatte gehofft, dass es sich um irgendeinen Nonsensnamen handeln würde. Doch leider musste ich feststellen, dass der Name aus der keltischen Mythologie stammte und sich grob mit »der Leuchtende« übersetzen ließ.
Nach der dritten Tasse Kaffee beschloss ich, eine zweite Meinung einzuholen. Val hatte in Topeka meine Aura in Augenschein genommen und mich für sauber erklärt, aber es würde nicht schaden, sie noch einmal nachsehen zu lassen. Wenn sie wieder keine Anzeichen einer dämonischen Übernahme entdecken konnte, wäre ich vielleicht in der Lage, mich von diesen hartnäckigen Angstvorstellungen zu befreien.
Wenn nicht, wäre ich vielleicht doch gezwungen, in den sauren Apfel zu beißen und einen Seelenklempner aufzusuchen – wie Brian vorgeschlagen hatte. Nicht gerade eine Option, die ich gerne in Betracht zog.
Val wohnte in einem schmalen, dreistöckigen Reihenhaus in der Delancy Street. Wenn ich sie besuchte, kam ich mir immer wie der letzte Bauerntrampel vor. Mein Haus mochte hübsch eingerichtet sein, aber Vals Haus war ein echtes Kunstwerk. Alles war farblich genau aufeinander abgestimmt, und ich hatte noch nie ein Haus gesehen, in dem tatsächlich jemand wohnte – und trotzdem alles picobello sauber und aufgeräumt war.
Sie führte mich ins
Weitere Kostenlose Bücher