Black Jesus
wie Bäume verkleidet sind. Truckstops. Rodeos. Maisfelder, so weit das Auge reicht. Kühe, so weit das Auge reicht. Ein sonnengegerbter Tramp mit Hund. Sonnenaufgänge, die dir den Glauben zurückgeben. Regen. Scheinwerfer im Regen. Wohnwagenhalden. Ein pornografisches Bild auf einer Klowand. Ein Kreuz bis in den Himmel. Ein riesiges Gefängnis auf einem Hügel. Autowaschanlagen. Baseballfelder. Eine Million fahler Windmühlen, die sich im Dunkeln drehen.
»Ich hatte das Gefühl, jemand sei hinter mir her.«
»Wer?«
»Mein Freund.«
»Glaubst du, dass er dich aufspüren wird?«
»Weiß nicht. Mein Kopf ist einfach so abgefuckt. Irgendwie dachte ich, ich wäre in Sicherheit, wenn ich den Mystery Spot finden würde.«
»Er ist nicht mehr da.«
»Ich weiß. Bin lange gefahren, um das rauszufinden.«
Sie atmen beide und lauschen. Draußen auf der Straße hat der Verkehr zugenommen, es ist Samstag: Autos, die den Berg rauffahren, Autos, die wieder runterkommen. Kaum wahrnehmbar Debbies Stimme, die an ihrer alten Registrierkasse steht und mit einem Kunden über ein unfassbar wertloses Nichts feilscht.
»Kann ich mich zu dir setzen?«, fragt Lionel plötzlich und klingt dabei wie ein Kind.
»Wenn du möchtest.«
»Okay.«
Und wie ein kleines Ruderboot stößt er sich von der Leiter ab und tastet seinen Weg durchs Dairy Queen, hin zu ihrer Stimme. Mit pochendem Kopf und noch immer verschlafenen Augen sieht sie ihm zu. Er ist schon fast am Sofa, als er über eine Puppe stolpert und ins Straucheln gerät. Gloria schreit auf, streckt die Arme aus und erwischt ihn gerade noch unter seinen Achseln, bevor er auf die staubige Lehne des Sofas kracht.
»Alles in Ordnung?«
»Ich bin okay«, sagt er und schämt sich nicht so, wie sie es befürchtet hatte. Sie hilft ihm auf das durchgesessene Kissen neben ihr.
»Mama hat so viel Mist hier rumliegen«, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.
»Kann man wohl sagen. Obwohl einiges wirklich cool ist.«
»Würdest du wohl kaum denken, wenn du mit dem Krempel groß geworden wärest.«
»Bist du hier aufgewachsen?«
»Ja. Nein. In einem Trailer in der Nähe. Aber sie hatte immer ihren Flohmarkt. Unser Fleisch und Brot, wie sie es nennt. Sagt, sie würde lieber verhungern, als für ›die da oben‹ zu arbeiten. Ich hab nie verstanden, wen sie damit meinte. Erst als ich ins Trainingslager der Marines kam. Da hab ich’s schnell kapiert.«
»Hast du da deinen Namen bekommen?«
»Black Jesus?«
»Ja.«
Er nickt. »Die Marines haben mich so getauft. Als ich ein Kind war, passte ich nirgendwo so richtig rein. Insofern war’s ein gutes Gefühl, einen Spitznamen zu bekommen.«
»Hast du in Irak gekämpft?«
»Klar.«
»War’s dort, wo dir das passiert ist?«
Der Junge nickt.
»Tut mir leid.«
Nach einer Weile sagt er: »Es braucht dir nicht leidzutun. Ich will nicht, dass es anderen Leuten leidtut. Andere Jungs hat’s noch viel schlimmer erwischt. Wenn wir sie nicht dort drüben bekämpften, müssten wir sie hier zu Hause bekämpfen, in unserem eigenen Hinterhof.«
Die Tänzerin registriert, wie der letzte Satz so mechanisch aus seinem Mund kommt, als sei er ein Papagei, ein Priester bei seinem täglichen Ritual.
»Du bist ein tapferer Kerl«, sagt sie. »Und wer weiß: Vielleicht gibt es ja einen Grund, dass du es lebend nach Hause geschafft hast. Vielleicht hat das Schicksal für dich noch was in der Hinterhand.«
»Wie was?«
»Das ist die Millionen-Dollar-Frage«, sagt sie. »Das große Geheimnis. Was wird passieren? Manchmal denke ich mir, dass es der einzige Grund ist, warum wir weitermachen. Wenn wir schon jede Szene aus dem Film kennen würden – warum sollten wir dann noch sitzen bleiben, um ihn uns bis zum Ende anzuschauen?«
Venice Beach, California
VENICE BEACH, CALIFORNIA
Vielleicht bist du schon mal an einem Sommerabend die Rose Avenue hinunterspaziert, wenn sie dort ihre Beziehungen pflegen, eine neue Beziehung suchen oder beenden. Wenn man kaum noch einen freien Tisch bekommt. Wenn man lautes Gezeter hört oder Zungenschnalzen, kaum dass ein hübsches Mädchen vorbeiflaniert. Wenn jemand an der Ecke ein schaurig-schräges Ständchen bringt. Wenn Möwen schreien. Wenn Vorsätze und Versprechungen im galoppierenden Wahnsinn untergehen. Wenn es dunkel wird. Ob das Meer nun ruhig ist oder stürmisch oder du selbst schon so beschickert, dass dir der Unterschied gar nicht mehr auffällt. Ganz egal, du kannst sicher sein, dass du
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