Black Jesus
ganz in der Nähe von Bebop Billy warst, dem hageren, Flöte spielenden Junkie von Venice.
Nachdem er seine richtige Flöte schon vor Jahren gegen Drogen versetzt hat, wirst du ihn vermutlich mit einer blauen Blockflöte antreffen – so schmal und unspektakulär wie der Mann selbst. Man wird die langen, klagenden Noten hören ebenso wie die hektischen Triller, doch sie werden vom Getöse aus Wellen und Autos und lautstarker Unterhaltung umgehend verschluckt. Und trotzdem sind sie vorhanden. Genau wie er selbst. Er hat heute ein seltsames Lächeln auf den Lippen, müde, freundliche Augen, das Heroinpäckchen in der Hose, den Batikturban auf dem Kopf, den kranken Zauber in seinen Venen, während er sich auf die tägliche Route begibt, die unter Gleichgesinnten »der Speedway« heißt: runter zum Rose Court, Dudley hoch, Paloma wieder runter, dann rüber zur Brooks Avenue. Er spielt Melodien, die dich sanft schaukeln, Melodien, die heilen, Melodien, die dich einfach wegblasen, Melodien, um dein Leben zu segnen oder dein Schicksal zu verfluchen. Es ist vier Uhr morgens, und Bebop bewegt sich ziellos durch die Straßen, seine Musik ist rein und ruht in sich selbst, und er sieht ein Licht in einem Fenster. Ein Mädchen. Ihr Gesicht an der Scheibe. Sie ist von Gott und der Welt verlassen, denkt er sich, und die Töne aus seiner Flöte reflektieren seine Gefühle. Mit wem sie wohl spricht?, fragt er sich und reckt den Hals, um besser zu sehen. Es dauert nicht lange, bis er kapiert, dass sie nicht spricht. Das Mädchen singt. Stumm und verloren im ersten Stock. Kein Ton dringt durch das geschlossene Fenster, doch irgendwas in ihrem Gesicht, ihrer Körpersprache bricht Bebop das Herz. Als ob sie genau wüsste, dass sie von niemandem je gehört werden wird. Als ob ihr Song dort oben für immer an der Scheibe pappen wird – bis alle Häuser vom Meer verschluckt werden. Was gar nicht mehr lang hin ist. Also bläst er ihr ein kleines Junkiegebet, kratzt sich am Bauch und geht weiter in die Nacht hinein, wo ein Schuss auf ihn wartet oder eine übersinnliche Erfahrung oder vielleicht auch nur der morgendliche Schlaf im Sand.
Auch wenn sie reinkam und ihn mit seinem aufgeschnittenen Gesicht im Spiegel sah, auch wenn er Blut auf die Fliesen spuckte und sie eine hirnlose Hure nannte und dazu lachte und wie ein tollwütiger Zigeuner mit seinem Rasiermesser ins Wohnzimmer tanzte, auch wenn er seit einer Woche nicht geduscht hat und stinkt, auch wenn er die Tür verriegelt und das Telefonkabel rausgerissen hat, auch wenn er kaum noch mit ihr redet – und wenn, dann wirres Zeug, das er ins Nichts spricht –, auch wenn er seltsame Songs nachäfft, von denen sie die meisten nicht kennt, auch wenn irgendwas im Innern ihr sagt, dass dies vielleicht nicht der sicherste Ort der Welt ist, hat sich Tracy, die Möchtegern-Jewel aus dem nördlichen Zipfel Floridas, dazu entschlossen, im Apartment des Großkritikers und Geschmacksmoguls Ross Klein zu bleiben – als sein Schutzengel sozusagen, vorausgesetzt es gibt Engel, die die Hosen runterlassen und alles dafür geben, einmal ihre große Chance zu bekommen.
Vielleicht ist das ja Teil seines kreativen Prozesses, denkt sie, als sie im Küchenregal nach der letzten Packung Pasta, der letzten Dose Paté sucht. Er hat unbestreitbar Talent. Wie sonst könnte er all diese unglaublichen Artikel schreiben, die ihn berühmt gemacht haben? Das ist nun einmal die Art und Weise, wie wahre Künstler ihre Gefühle kanalisieren. Man muss die fade Brühe mit etwas Wahnsinn würzen. Wow, ich mag dieses Bild. Ist das auf meinem eigenen Mist gewachsen? Die Kreativität muss wohl schon abfärben. Ich bin hier gleich an vorderster Front. Würde mich nicht wundern, wenn er in seinem nächsten Blog über mich schreibt. Wenn Daddy mich nur sehen könnte! »Don’t you know you’re ashooting star« , haben wir in seinem Truck immer gesungen, als ich noch klein war. »All the world will love you just as long as you are a shooting star.«
Und der antike Ventilator aus den Motown-Büros, den er Berry Gordys Steuerberater abgekauft hat, dreht und dreht sich. Und der artifizielle Wind bläst in seine Haare, ins Gesicht und auf den nackten Körper des Mannes, der hier auf dem Boden liegt, mit dem Rücken auf dem ovalen Teppich, Bademantel und Augen weit aufgerissen.
Da er das ominöse Rasiermesser eine Weile links liegen ließ, ist Ross ein stattlicher Bart gewachsen, bis zu den Backenknochen hoch, runter bis zum
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