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Black Jesus

Black Jesus

Titel: Black Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Felice
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Kehlkopf. Als er gestern ziellos durch sein Loft lief, war ihm ein gerahmtes Foto von John Lennon und Phil Spector ins Auge gefallen, beide im Kontrollraum eines Studios sitzend, und beim Vorbeigehen hatte er im reflektierenden Glas sein eigenes Gesicht gesehen. Er war erschrocken zusammengefahren, weil es gleichzeitig – zumindest aus dieser Perspektive – auch das Gesicht seines Vaters war. Die gleichen bösartigen Augen. Der gleiche Bart. Genauso, wie er ihn in Erinnerung hatte, als sie damals einen Monat gemeinsam auf seiner Yacht verbracht hatten. November 1984. Das Datum hatte sich im Hirn des Kindes eingebrannt, weil ihn sein Vater so lange wach gehalten hatte. Es war die Wahlnacht, und sie hatten lange in der Kajüte gehockt und dem knisternden Radio gelauscht, als nach und nach die Ergebnisse eintrudelten, die Ronald Reagans triumphale Wiederwahl bestätigten.
    »Ein Schauspieler«, hatte sein Vater gesagt, nachdem alle Stimmen ausgezählt waren. »Ein Mann aus Kalifornien. Einer von uns. Ein Held wie aus dem Bilderbuch. Und genau das brauchen wir, damit dieses Land endlich wieder Eier bekommt. Ich hoffe, du weißt, was ich meine, wenn ich Eier sage, Sohn?«
    In diesem Augenblick hatte das Kind den Vater angesehen und für einen Moment den Eindruck gehabt, dass der dunkelblonde Bart nur eine Maskerade wäre – etwas, hinter dem man sich versteckt. Und dass dahinter womöglich eine wundervolle Welt läge, vielleicht eine, wo die Wilden Kerle wohnen, eine Welt, in der alle Väter gut und weise sind. Und dann hatte er auf seine kleinen Schuhe geschaut und zu weinen angefangen.
    »Herr im Himmel! Deine Mutter hat dich ja anscheinend zu einem rechten Weichei gemacht, oder?«
    »Du hast mir noch immer nicht gesagt, wo sie ist«, weinte das Kind.
    »Sie ist weg.«
    »Wann kommt sie zurück?«
    »Zurück? Sie kommt nicht zurück. Da kannst du bis zum St. Nimmerleinstag warten, bis der ganze Sunset Strip mit Rosen übersät ist. Dafür werden schon ein paar jüdische Rechtsverdreher sorgen.«
    »Wo ist sie denn hin?«
    »Willst du’s wirklich wissen?«
    »Ja«, heulte das Kind in seine Hände. Acht Jahre alt war es, und die »Hatteras«, die Dreißig-Fuß-Yacht seines Vaters, schwankte auf den Wellen einer kalten Nacht.
    »Sie kam auf die tolle Idee, irgendeine hergelaufene Sangesschwuchtel zu ficken, irgendeinen Bobby, einen zweitklassigen Donovan, den sie im letzten Jahr auf einer Party im Laurel Canyon traf, als ich geschäftlich in New York war. Ich sollte mich schämen, dass ich wirklich im Glauben war, eine anständige Frau aus ihr machen zu können. Das ist wohl jetzt meine Strafe dafür, mit einem Go-Go-Girl ein Kind in die Welt gesetzt zu haben. Sheila. Allein schon der Name steht für alle Schlampen, die aus einem Scheißloch im Mittleren Westen kommen. Meine Mutter, deine Großmutter – der Herr hab sie selig – brachte es genau auf den Punkt: Liebe ist ein Märchen, das wir lieber Hollywood überlassen. Aber wenn’s um die Ehe geht, sollten wir uns genau anschauen, wie’s mit der Herkunft steht. Und was das angeht, hat dieses Mädchen nicht mal verdient, unseren Boden zu schrubben.«
    Erstaunlich, wie viel aufgestauter Hass sich in den Herzen der pathologisch Reichen verbergen kann. Ein Geheimnis, das in den Toiletten der Country Clubs wohl bekannt ist. Und Ross Klein, der blass und nackt auf seinem verschwitzten Teppich liegt und den Bart sprießen lässt, den ihm der Vater vererbt hat, könnte dieses Erbe jederzeit antreten. So er es denn wünscht.
    Aber wie sollte er die stille Schönheit mit den schwarzen Zöpfen je vergessen? Die heilige und unheimliche Mutter, die er nun nie wieder sehen würde – Sheila, die Frau, die stets auf der Suche nach Liedern war. Der leichte Duft von Patschuli. Ihr Lispeln, wenn sie sprach. Die erste Stimme, die er je gehört hatte – und er hätte in den ersten Jahren seines Lebens alles darauf verwettet, dass die Milliarden anderer Stimmen auf dieser Welt falsch klangen, nicht aber ihre. Sie saß mit ihm auf der Veranda ihres Hauses in den Hills und spielte ihm auf einer Achtspurmaschine ihre liebste Musik vor: Van The Man und Jackson Browne und Tim Buckley und Joni und The Byrds. Carole King und Sweet Baby James und Judy Collins und Earth, Wind & Fire, bis die Maschine eines Tages ihren Geist aufgab. Songs, die von ihrem früheren Leben erzählten, das sie aufgegeben hatte, um in dieser monströsen Villa zu leben. Mit ihrem Kind auf dem Schoß schaukelte sie

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