Black Mandel
allerdings und suchte dann unter M . Der Mandel ging nicht ran, ich wurde unmittelbar mit seinem Anrufbeantworter verbunden.
»Sigi?«, hörte ich Vilde sagen, also ging ich zurück in ihr Zimmer.
»Ja?«
»Geht es Max gut?«
»Ja, er ist bei Utgang. Alles ist gut.«
»Komm her«, sagte Vilde, und ich trat näher. Sie nahm meine Hand und sah mich an.
»Kümmert euch nicht um mich«, sagte Vilde und ließ meine Hand wieder los. »Cristian ist wichtiger als das hier.«
»Das sehe ich anders«, sagte ich und hätte sie gerne in den Arm genommen und fest gedrückt. Angesichts der Umstände wusste ich nicht, ob so ein Verhalten jetzt angebracht war.
Ich ging mit Håvard in die Küche. Er machte sich einen Espresso, bot mir aber keinen an.
»Wer macht denn so was? Und warum Quisling?«, fragte ich.
»Wegen deinem Freund vielleicht«, sagte Håvard.
»Ich dachte, ihr Norweger habt nichts gegen Deutsche.«
»Wer erzählt so einen Unsinn?«, sagte Håvard.
»Wer weiß von Mandel und Vilde?«, fragte ich.
»Vilde ist ein gefragtes Mädchen hier in Bergen«, sagte Håvard.
»Die arme Vilde«, sagte ich. »Wenn der Mandel das wüsste, der würde durchdrehen.«
»Das Schwein gehört abgestochen«, sagte Håvard sachlich.
»Der Mandel?«, fragte ich entsetzt.
»Der Einbrecher«, sagte Håvard.
»Denkst du, der Überfall hat mit ihrem Bruder zu tun? Erst die versuchte Brandstiftung in der Marienkirken, dann das Verschwinden von Baalberith, jetzt der Einbruch? Und das alles rund um das Dark-Reich-Konzert?«
»Kann sein«, sagte Håvard. »Dark Reich haben sich im Lauf der Jahre nicht nur Freunde gemacht.«
»Warum möchte Vilde keine Polizei?«, fragte ich.
»Wegen der Demütigung vielleicht«, sagte Håvard.
»Gibt es keinen rabiaten Ex-Freund, dem so etwas zuzutrauen ist?«
»Vilde war lange mit Gunarr Aasen zusammen. Ujak von Død.«
»Echt? Mit dem war sie zusammen?«, fragte ich.
»Bis Ende letzten Jahres«, sagte Håvard.
»Und war der gewalttätig?«
»Er war zumindest ein Idiot. Wer weiß, was in ihm vorgeht, nachdem sie ihn abserviert hat«, sagte Håvard.
»Ich komme später noch mal wieder«, sagte ich.
»Lass dir Zeit«, sagte Håvard.
Ich verstand mittlerweile besser, wie die Orte, die ich in Bergen schon kannte, sich zueinander verhielten. Eine fremde Stadt liegt ja am Anfang ihrer Begehung immer komplett im Dunkeln. Die Karte im eigenen Gehirn ist anfangs völlig schwarz. Dann kommen die Punkte A und B dazu. Das kann das Hotel sein und vielleicht der Hauptbahnhof, aber dazwischen liegt nur Dunkelheit, ein Nebel der Unkenntnis oder »Fog of War«, wie es in den Computerspielen heißt. Wenn man von seinem Hotel aus mit der U-Bahn zu einem anderen Punkt fährt, erweitert man die Hirnkarte um einen neuen hellen Fleck. Der Weg dahin bleibt allerdings dunkel, weil man ja unterirdisch gereist ist und nichts von der Stadt gesehen hat. Je länger man also in einer Stadt ist, desto weniger Dunkelheit herrscht auf der Karte. In einer fremden Stadt ist eine fortschreitende Aufhellung durchaus zu begrüßen, weil man sich leichter zurechtfindet. Aber in der eigenen Stadt sind die dunklen Stellen das Schönste. Wenn einmal die gesamte Karte hell ist, kehrt die tödlichste Langeweile ein, und dann sollte man in eine andere Stadt ziehen. Hier in Bergen herrschte freilich noch überwiegend Dunkelheit. Erleuchtet war aber schon die direkte Verbindung von Vildes Wohnung zum Garage. Zugegeben waren es auch nur ein paar Meter.
Es war bereits Nachmittag, als ich dort mein zweites Bier vom Mandel seinem Geld bestellte. Ich versuchte immer noch, ihn zu erreichen, aber sein Telefon blieb aus. Mein Schnupfen wurde mit jedem Bier schlimmer. Ich dachte an Vilde. Ein Überfall in der eigenen Wohnung am helllichten Tag. Das war absurd. Es gefiel mir nicht, wie die Dinge sich schon wieder entwickelten. Es schien ja grade so, als hätte das Eintreffen vom Mandel und mir die Kalamitäten erst ausgelöst: das Verschwinden von Baalberith, das Feuer in der Kirche und den Angriff auf Vilde. Als hätte jemand nur darauf gewartet, dass der Mandel und ich nach Bergen kommen, um loszulegen mit dem Chaos. Immer wieder kam mir Raske in den Sinn, wie er so wissend und salbungsvoll mit uns umgesprungen war. Ich möchte nicht leugnen, dass etwas Faszinierendes und – schlimmer noch – sogar eigentümlich Sympathisches von ihm ausging, aber man konnte trotzdem nicht anders, als ihn jeder nur denkbaren Scheußlichkeit zu
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