Black Mandel
tonlos.
»Ich mach mir Sorgen um den Mandel«, sagte ich.
»Und ich mach mir Sorgen um meinen Bruder. Ich gehe heute ins Gefängnis zu Raske und rede mit ihm.«
»Geht denn das so einfach?«, fragte ich.
»Ich hab hier einen Kunden, ich muss aufhören«, sagte Vilde.
»Ich komm mit ins Gefängnis«, sagte ich.
»Dann halt dich gegen Mittag bereit«, sagte Vilde und legte auf.
In der Bahn in die Stadt war ich nervös, weil ich erneut schwarzfuhr, und die Chance auf Fahrkartenkontrollen in öffentlichen Verkehrsmitteln war immer dann am größten, wenn ich irgendwo mitfuhr. Mich haben sie sogar in der Mailänder Straßenbahn schon kontrolliert, das muss man sich mal vorstellen.
»Was willst du denn hier?«, empfing mich Håvard an der oberen Wohnungstür, ohne mich reinzulassen.
»Ich warte auf Vilde«, sagte ich.
»Die arbeitet«, sagte der Türsteher von Vildes Wohnung.
»Ich weiß«, sagte ich, und Håvard bewegte sich nicht von der Stelle.
»Soll ich hier draußen warten, oder was?«, sagte ich, weil ich langsam grantig wurde wegen der ständigen Unfreundlichkeit.
»Mach doch, was du willst«, sagte Håvard und war schon wieder auf dem Weg in sein Zimmer, ließ aber gnädigerweise die Wohnungstür offen. Ich setzte mich auf die Couch und schaltete den Fernseher ein. Es lief M*A*S*H im englischen Original mit norwegischen Untertiteln ohne die Tonspur mit den Lachern. Es war die Folge, in der Hawkeye BJ seinen besten Witz erzählt und BJ ihn nicht lustig findet. Allerdings ist BJ mit demselben Witz bald der große Abräumer bei den Kollegen. Zwischenzeitlich muss ich eingeschlafen sein, denn statt M*A*S*H lief jetzt ein Bericht über Lebensmittel.
Gegen halb eins kam Vilde zurück.
»Ich hab das gestern nicht so gemeint«, sagte ich.
Vilde trug einen kürzeren schwarzen Rock und eine hellblaue Bluse dazu. Ihre Haare hatte sie zu einem Kranz geflochten, sie sah aus wie eine fantastische Mischung aus Sekretärin und Weinkönigin.
»Kommst du mit zu Raske?«, fragte Vilde.
»Natürlich komm ich mit. Warum kannst du ihn einfach so besuchen, wenn er in Untersuchungshaft ist?«
»Er ist nur noch eine Stunde in Untersuchungshaft, dann wird er entlassen. Wir erwarten ihn vor dem Gefängnis«, sagte Vilde.
»Woher weißt du das?«, fragte ich.
»Ein Ex-Freund arbeitet bei der Staatsanwaltschaft.«
Den Kommentar von der großen Bandbreite ihrer Ex-Freunde sparte ich mir an dieser Stelle.
»Konnten sie ihm nichts nachweisen?«, fragte ich stattdessen und bekam die einzige Antwort, die so eine dämliche Frage verdient hatte.
»Nein, sonst würden sie ihn ja nicht freilassen«, sagte Vilde.
»Natürlich«, sagte ich.
»Lass uns gehen, sonst kommen wir zu spät«, sagte Vilde.
»Und wie kommen wir dorthin?«, wollte ich wissen.
»Wir nehmen den 280er-Bus«, sagte Vilde.
»Ich hab kein Kleingeld mehr«, sagte ich.
Wir warteten im Nieselregen vor dem Gefängnistor. Es bestand eigentlich aus drei miteinander verbundenen Gittertoren, von denen das mittlere das größte war und auch Platz für Fahrzeuge bot. Über dem mittleren Tor befand sich ein hoher runder Bogen, dessen Zweck sich mir nicht erschloss, vermutlich Staatsgefängnis-Design. Irgendwo gab es immer ein Design in diesem Land, und das meine ich gar nicht negativ. Die Mischung aus Nationalromantik, Formalstil und Kunst hatte ich in dieser Harmonie bisher noch nirgendwo auf der Welt gesehen. Die Gittertore waren noch nicht der endgültige Zugang, sondern bildeten eine Art Käfig, welcher der Gefängnismauer und dem Haupteingang vorgelagert war. In die Mauer war ein hellblaues stählernes Garagentor eingelassen, und darüber stand Kriminalomsorgen – Bergen fengsel, verziert mit einem sonderbaren Wappen. Es sah aus, als würden zwei Wellen ineinanderschwappen. Ich hatte mir eine Wollmütze aufgesetzt, aber wegen dem beharrlichen Nieseln war sie in kürzester Zeit nass. Vilde trug einen grauen Regenmantel mit einer breiten Kapuze, und ihr schien der Regen nichts auszumachen. Eine gute halbe Stunde warteten wir. Vilde blieb wortkarg. Nur einmal fragte sie, ob ich etwas Neues vom Zahnarzt erfahren hätte.
»Nein, nichts Neues. Aber immerhin kann ich mir jetzt ein besseres Bild von deinem Bruder machen«, sagte ich.
»Aha, wieso?«, sagte Vilde.
»Der Zahnarzt hat ein paar schöne Anekdoten erzählt«, sagte ich.
Bevor Vilde nachfragen konnte, ging die Stahlwand im Inneren des Käfigs auf, und ein weißer Polizeiwagen rollte langsam hindurch.
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