Black Mandel
besonders großen römischen Ziffern. Die freundliche Frau hinter dem Verkaufstresen kennt er irgendwoher. Während der Mandel die Uhr in der Hand hält, sagt die Frau hinter dem Verkaufstresen zu ihm, ich frage Sie jetzt nicht, wie Ihnen die Uhr gefällt, denn Sie dürfen nicht antworten. Sie dürfen nicht den Mund aufmachen, egal was passiert. Sie dürfen nichts sagen, und Sie dürfen nicht müde werden. Aber am wichtigsten ist, nicht einmal zum Luftholen den Mund aufzumachen. Es ist ganz schön kalt bei euch im Kaufhaus, will der Mandel sagen, aber er soll ja nichts sagen, und irgendwie vertraut er der Frau hinter dem Verkaufstresen. Er denkt, so wie die Frau hinterm Verkaufstresen könnte meine Mama heute ausschauen. Als er das Ziffernblatt mit den römischen Zahlen genauer untersucht, erkennt er einen Fleck unten an der römischen Sechs. Es ist eine feuchte Stelle, unter dem Glas sitzt ein Wassertropfen. Und dann werden es sekündlich mehr Wassertropfen, bis das Gehäuse der Uhr mit Wasser vollgelaufen ist. Entschuldigen Sie, sagt der Mandel zu der Frau, ich kaufe doch keine Uhr, die nicht wasserdicht ist. Von einer Armani-Uhr kann man doch erwarten, dass sie wasserdicht ist, sagt er. Und in dem Moment vergisst er natürlich, die Klappe zu halten, wie die Frau ihm geraten hat. In Sekundenschnelle ziehen sich die Wände der Galeria Kaufhof um ihn herum zusammen und kerkern ihn in ein schwarzes Verlies ein. Hilfe, sagt der Mandel, bevor auch die letzten Quadratmeter in einem alles verschlingenden Schwarz kollabieren.
High time to come home.
Und an der Stelle war der Mandel dann tot. Aber sein Astralkörper löste sich nicht von seinem ertrunkenen Körper, und kein Licht war da, auf das er hätte zuschweben können, und niemand, der ihn hinüber in eine neue Welt geleitete. Die Ampel oben auf der Brücke war gerade wieder grün geworden mit ihrem sanften Klick, und der Motor des Autos surrte immer noch ruhig vor sich hin. Das Wasser vom Hardangerfjord war an der Oberfläche glatt und darunter ganz dunkel, und der Mandel war einfach weg, als ob er nie da gewesen wäre. So einfach ist das nämlich mit dem Tod, egal was daran herumgedichtet wird. Es ist einfach Schluss, und damit hat sich’s. Weil das das Unkomplizierteste und Logischste ist, aus Sicht der Natur. Warum sich mit einem Nachleben herumschlagen, wenn es so viel einfacher geht. Wenn sich der Mensch praktisch selbst entsorgt. Man muss das ja auch mal logistisch sehen. Es käme doch zu den reinsten Astralkörperstaus, wenn zu jedem Toten auf der Welt noch eine Seele herumschwirrt. Weil das ist ja das Ökonomische am Tod, dass er Platz für etwas Neues schafft. Es wäre vollkommen müßig, wenn der ganze metaphysische Restmüll auch noch über den Planeten geistert und am Ende wahrscheinlich Astralkriege miteinander führt, weil der Präsident von Nord-Astralien mit dem Premierminister von Süd-Astralien nicht auskommt. Das mit dem Astralkörper ist nichts weiter als eine Rührseligkeit für die, die nicht damit umgehen können, dass ihr ganzer diesseitiger Stress, den sie sich immer gemacht haben, vollkommen umsonst ist. Es gibt kein Leben nach dem Tod. Aus, basta, Amen.
Der Mandel erwachte, weil er kotzen musste. Und nicht einfach nur kotzen. Es war ein Jahrhundertkotzen. Er kotzte und kotzte, und dann kotzte er noch mal. Den halben Hardangerfjord kotzte er im Grunde genommen wieder aus. In den Sekunden zwischen den einzelnen Kotzvorgängen hat er stark gehustet, und er schwört, dass er nie so einen hinterhältigen Schmerz gespürt hat wie bei dem Husten zwischen dem Kotzen. Es dauerte sowieso eine Weile, bis der Mandel erkannte, wo er sich befand. Er lag am Ufer in dem nassen Gras. Neben ihm kniete Myklebust, nur mit einer Unterhose bekleidet, und sah zu ihm herunter. Myklebusts lange Haare waren nass und fielen auf die Brust vom Mandel. Es war immer noch Nacht, aber die Straßenlaternen am Anfang der Brücke gaben dem Mandel seine Orientierung zurück. Nachdem er sich endgültig ausgekotzt hatte, fühlte er die eisige Kälte in der Lunge. Dann kam auch der Schmerz in der Hüfte zurück. Trotzdem war der Mandel halbwegs erleichtert, weil er sah, dass seine Armbanduhr noch dran war und tadellos funktionierte. Kein Tropfen Wasser befand sich unter dem Ziffernblatt. Für irgendwas müssen diese teuren Uhren schließlich gut sein.
»Hast du mich mit dem Mund wiederbelebt?«, fragte der Mandel, der sich das nicht besonders ästhetisch vorstellte.
»Ging
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