Black Monday
Küche und ein Schlafzimmer. Den ersten Stock bilden zwei kleinere Räume – ein Arbeitszimmer und ein Fernsehzimmer – sowie ein Balkon. Die Kajaks hat Samuelson offenbar im Keller hergestellt. Hier unten liegen halbfertige Rahmen auf Böcken, an einer Wand steht ein langer Arbeitstisch mit Werkzeugen, Chemikalien und Bauplänen.
»Durchsuchen Sie jeden Zentimeter«, fordert Gerard die Wissenschaftler auf, während die FBI-Leute draußen Wache halten.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Natkin, der aufrichtig wirkt.
»Erzählen Sie mir von Lyle.«
»Er war mit meiner Schwester verheiratet, aber die hat sich von ihm getrennt. Er war ein anständiger Kerl, musste aber herbe Schicksalsschläge einstecken. Er hat seine Arbeit geliebt, aber bei Cougar Energy gab's irgendwelche Probleme. Mit den Kajaks hat er zwar nie viel Geld verdient, aber zumindest endlich Anerkennung gefunden.«
»Ziemlich unglücklicher Typ, was?«
Natkin seufzt. »Ich würde eher sagen, desillusioniert. Das kennen wir doch alle: Als junger Mensch glaubt man, dass es sich irgendwann auszahlt, wenn man hart arbeitet und sich an die Regeln hält. Wenn man dann älter wird, stellt man fest, dass nicht alles so läuft, wie man es sich erträumt hat. Lyle konnte sich damit nie abfinden. An der Uni hat er gebüffelt wie ein Irrer, aber die Stipendien gingen an die Studenten mit den richtigen Beziehungen. Er war ein guter Ehemann, nur leider hat sich meine Schwester in einen anderen verliebt. Als er aus Nevada zurückkam, war er völlig verbittert. Geredet hat er nicht darüber, sondern sich stattdessen in die Arbeit an den Kajaks gestürzt. Durch und durch der detailversessene Tüftler.«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass er Delta-3 entwickelt hat?«
Natkin ist schockiert. »Entwickelt? Ich dachte, Sie hätten gesagt, seine Arbeit könnte Ihnen helfen, es zu identifizieren.«
»Womöglich hat er die Mikrobe entwickelt, ohne zu ahnen, dass sie mal auf diese Weise zum Einsatz kommen könnte«, sagt Gerard hastig, um sich die Hilfsbereitschaft des Mannes nicht zu verscherzen.
Natkin wird wütend. »Und darauf vergeuden Sie die Arbeitskraft von so vielen Leuten? Kein Wunder, dass die Homeland Security nicht mal ihren eigenen Arsch findet. Kein Wunder, dass das ganze Land zum Teufel geht.«
Er schnaubt verächtlich.
Dann sagt er: »Ich kannte Lyle schon, als er sechs Jahre alt war.«
Gerard nimmt sich als Erstes das Arbeitszimmer vor. Papier knistert unter seinen Füßen, während er sich mitten im Zimmer um sich selbst dreht. Die Plünderer haben den Flachbildfernseher und den Laptop dagelassen, aber alles andere komplett auseinandergenommen. Haben sie nach Lebensmitteln gesucht? Oder nach Beweisen für Delta-3? Der Strahl der Taschenlampe beleuchtet eine Reihe von Unterwasserfotos, die an den holzverkleideten Wänden hängen. Ein bärtiges Gesicht lugt durch das Bullauge eines Tiefseetauchboots. Ein riesiger Anglerfisch mit einem Leuchtorgan oberhalb des Mauls. Aus dem Meeresgrund sprießt ein unterseeischer Strauß weißer Röhren – gespenstisch, mit blutroten Kiemen, ihre Bewegungen wegen der Strömung synchron. Schwarzer Rauch quillt im Wasser nach oben.
Ist das Öl?
Gerard hebt die Papiere auf, überfliegt sie nacheinander. Es handelt sich um Rechnungen für Kajaks, Entwürfe, Kataloge, E-Mails von anderen Kajakherstellern. Die unglaubliche Detailgenauigkeit bestätigt, dass Samuelson von einem geradezu neurotischen Perfektionismus besessen war. Auf allen Papieren finden sich Randbemerkungen – Notizen, Querverweise, Preise, Hinweise auf Holztypen.
Nichts, was mit Öl zu tun hat.
Etwas Wichtiges, wenn es denn hier war, hätte er nicht einfach irgendwo herumliegen lassen.
In den Aktenschränken findet Gerard Kontoauszüge, Krankenkassenunterlagen, eine Akte mit Wertpapieren, eine mit Plänen für die Renovierung des Badezimmers, auch hier sämtliche Ränder mit Notizen bekritzelt.
Nichts, was mit Öl zu tun hat.
Samuelsons durch den Rauch nur vage zu erkennendes Gesicht schaut ihn aus dem Bullauge an. Gerard fragt den Mann auf dem Foto: »Hast du wirklich etwas über Delta-3 gewusst, oder bist du bloß ein unschuldiger Pechvogel, der zu tief getaucht ist und sich die Taucherkrankheit zugezogen hat?«
Gerard schaltet den Laptop ein und atmet erleichtert auf, als er feststellt, dass der Akku noch funktioniert. Ein Kajak gleitet über den Bildschirm. Mit ein paar Mausklicks verschafft Gerard sich Zugang zu den Dateien auf der
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