Black Monday
angenommen, um die Überreste prähistorischer Pflanzen und Tiere handelt, sondern um ein Nebenprodukt von Kohlenwasserstoff fressenden Bakterien, die unter der Erde leben. »Das Leben auf unserem Planeten hat in der Tiefe angefangen und ist allmählich an die Oberfläche gewandert, nicht umgekehrt«, schreibt er.
An den Rand hat Samuelson gekritzelt: Richtig!!!
Gerard blättert in Die Mikrobiologie der Tiefseeschlote von David Karl und in einer Mappe mit einer Sammlung loser Aufsätze mit Titeln wie »Ölvorkommen im Kreide-Tertiärbecken von West-Grönland«, »Verbindungen zwischen Bakterien auf dem Mars und auf der Erde« und »Thermophyle, anaerobische Bakterien, bei einer Granit-Tiefbohrung in Schweden entdeckt«.
Auch hier hat Samuelson Randbemerkungen gemacht. »Schlote um Island untersuchen! Über tausend Grad Celsius nötig für Oxidation, sonst entsteht kein Methangas! Keine Nahrung!«
Gerard starrt auf die gekritzelten Zeilen. Seine Gedanken rasen. Tausend Grad, das ist doppelt so viel wie beim Raffinieren von Öl. War Samuelson zu dem Schluss gelangt, dass bei solchen Temperaturen noch Leben existieren kann? Unmöglich. Undenkbar. Kein vernünftiger Mensch kann so etwas ernsthaft in Erwägung ziehen.
Und warum der Hinweis auf Methangas? Warum die Verbindung zwischen »Methan« und »Nahrung«?
Offenbar hat Samuelson in der Tiefsee nach neuen Mikroben gesucht, denkt Gerard. Und er hat sich immer noch für das Thema interessiert, denn die Randbemerkungen wirken frisch. Wieso findet sich also auf seiner Festplatte nichts darüber? Keine einzige Datei?
Der letzte Aufsatz trägt die Überschrift: »Bakterieller Gentransfer in der Natur. Wie neue Organismen ihre DNA außerhalb des Labors kombinieren.«
Mann, o Mann, denkt Gerard.
Aber alle Aufsätze stammen aus der Feder anderer Wissenschaftler und nicht von Samuelson. Eigentlich weist nichts in diesem Zimmer auf Samuelsons Forschung an Tiefseeschloten hin, die er über Jahre hinweg intensiv betrieben hat. Und das, obwohl er über alles, was ihn – anscheinend bis zu seinem Tod – interessierte, detaillierte Aufzeichnungen aufbewahrt hat.
Als sie um zehn Uhr abends auf das Festivalgelände zurückkehren, haben weder Gerard noch die anderen Wissenschaftler irgendeine Spur entdeckt. Die Leute, empört darüber, dass das FBI Samuelson verdächtigt, halten Distanz zu den Wissenschaftlern. Gerard bekommt heute keinen Funkkontakt. Aber die Bungalows werden mit neu installierten Holz- und Gasöfen beheizt, und er ist dankbar für eine Nacht in einem warmen Bett.
Am 9. Dezember machen sie sich bei Sonnenaufgang wieder auf den Weg zu Samuelsons Haus. Sie müssen durch fünfzehn Zentimeter Neuschnee stapfen. Zwei FBI-Leute haben eine starke Erkältung. Die Temperatur im Haus ist auf minus zwölf Grad gesunken. Gerards Finger sind trotz der Handschuhe steifgefroren, dennoch nimmt sich Gerard noch einmal den Computer, den Schreibtisch und die Aktenschränke vor. Heute gehen ihnen auch die FBI-Leute zur Hand, suchen nach Verstecken, nehmen Möbel auseinander, reißen Balken aus den Wänden, sehen hinter Heizkörpern und im Tank der Klospülung nach.
Immer wieder muss Gerard an Os Prestons Worte denken, der gesagt hat, nach etwa fünfzig Tagen ließe sich der Weltuntergang nicht mehr aufhalten.
Hat jemand deine Arbeiten gestohlen, Samuelson? Hast du deine Unterlagen vernichtet? Sind sie bei Cougar? Hast du sie verkauft? Oder bist du unschuldig und ich auf der falschen Fährte?
Es wird dunkel, der Halbmond steht am Abendhimmel und lässt die Eiszapfen am Schlafzimmerfenster glitzern. Draußen haben die FBI-Leute ein Feuer entfacht, um sich zu wärmen. Auch Agentin Saiko ist schwer erkältet.
Am späten Abend ruft Gerard zu Hause an – diesmal kommt er tatsächlich durch – und erfährt, dass Alice Lee im Garten beerdigt wurde, nachdem Joe Holmes den gefrorenen Boden mit einem »geliehenen« Presslufthammer aufgebrochen hat. Chris Van Horne hat ein paar Bibelstellen rezitiert. Die Bewohner der Marion Street haben beschlossen, Washington nicht zu verlassen. Gott sei Dank, denkt Gerard. Dann bricht der Funkkontakt wieder ab.
Am 10. Dezember, ihrem letzten Tag hier, nimmt Gerard sich den Keller von Samuelsons Haus vor. Natürlich wurde dieser bereits gründlich durchsucht, aber er verhält sich so, wie Larch es ihn Vorjahren gelehrt hat: Er tut einfach so, als wäre der Keller noch gar nicht durchsucht worden.
Auf dem Boden sind frische Mäusespuren, und
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