Black Monday
durch eingeschlagene Glastüren weht feiner Schnee herein. Im Kamin rascheln kleine Tiere. Mit einem Schraubenzieher bricht Gerard Lackdosen und zugefrorene Schubladen auf. Er überprüft die Werkzeugkiste, den Sicherungskasten, die Wasserpumpe, den Wasserfilter. Vor Frustration dreht er fast durch. Einer der FBI-Leute leidet schon an Erfrierungen. Schon wieder kommen Menschen durch meine Verbissenheit zu Schaden, denkt Gerard.
Hier ist einfach nichts zu finden, geht es ihm durch den Kopf, als sein Handy klingelt. Nach stundenlangen Versuchen ist Marisa endlich zu ihm durchgekommen, aber ihre Stimme klingt ganz leise, der Kontakt bricht immer wieder ab. Sie muss schreien, um sich verständlich zu machen.
»Sprich mit Annie«, sagt sie. »Sie will nicht aus ihrem Zimmer kommen, wenn ich ihr nicht erlaube, in den Zoo zu gehen! Es ist der reine Wahnsinn! – Annie? Komm raus! Dein Vater ist am Telefon!«
Während Gerard versucht, seine Tochter zu beruhigen, lässt er ein letztes Mal den Blick durch den Keller schweifen. Es kommt ihm vor, als würde er vom Mars aus mit ihr telefonieren. »Sei vernünftig«, sagt er. »Im Zoo ist es zu gefährlich.«
Annie weint. »Die wollen Tiere erschießen, um andere Tiere mit dem Fleisch zu füttern. Das ist Kannibalismus.«
»Ich möchte, dass du mir versprichst, dich nicht mehr so kindisch zu benehmen und dich nicht mehr in deinem Zimmer einzuschließen.«
»Bloß weil sie Tiere sind, heißt das noch lange nicht, dass sie kein Recht haben zu leben. Gott hat auch die Geparden erschaffen.«
Langes Schweigen, das ihn auf die Palme bringt.
»Also gut, ich versprech's. Zufrieden, Daddy?« Aber ihre Worte klingen eher vorwurfsvoll als zärtlich.
Nachdem das Gespräch beendet ist, hört Gerard wieder das Rascheln von kleinen Tieren im Kamin. Dann wird ihm klar, dass das Geräusch nicht aus dem Kamin kommt, sondern aus einem halbfertigen, in der Mitte des Raums aufgebockten Kajak.
Er runzelt die Stirn. Das Kajak habe ich schon überprüft, aber da waren keine Tiere.
Mit seinen behandschuhten Händen fährt er über den glatten Rumpf. Noch einmal untersucht er die Stelle hinter dem Sitz, öffnet die Gepäckluke und späht hinein. Nichts zu sehen. Woher kam dann das Rascheln?
Er beugt sich über die Sitzluke, leuchtet mit der Taschenlampe hinein. Leises panisches Scharren ist hinter der Abdeckung zu hören, die die Sitzluke nach hinten hin gegen eindringendes Wasser abschirmt, so dass das Kajak im Falle eines Kenterns schwimmfähig bleibt.
Als Gerard hineinlangt und gegen die Abdeckung drückt, gibt sie nach und klappt, nur durch ein Scharnier gehalten, auf.
Eine Maus kommt herausgeschossen.
Der Strahl der Taschenlampe beleuchtet ein kleines, uringetränktes Knäuel. Stroh. Papierschnipsel. Und unter dem Nest entdeckt Gerard noch etwas – und kann es nicht fassen.
Ist das ein zusammengefalteter Brief?
Die Kopfschmerzen sind wieder da.
Der Brief ist zu groß, als dass ihn eine Maus hätte dorthin schleppen können.
Was bedeutet, dass er dort versteckt wurde.
Gerard zieht den durchweichten Brief heraus. Im Licht der Taschenlampe ist verschmierte blaue Tinte zu sehen. Als Gerard die ersten Zeilen des Briefs liest, wird seine Kehle ganz trocken, ihm wird heiß, und in seinem Schädel fängt es heftig an zu pochen.
»Lieber Bruder. Ich wollte etwas Gutes tun. Aber ich fürchte, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen …«
20. KAPITEL
10. Dezember. 43 Tage nach dem Ausbruch.
»Ich habe etwas erfunden, womit sich Kriege verhindern lassen«, liest Gerard.
Klingt verrückt, nicht wahr? Völlig ausgeschlossen. Aber stell dir mal vor, wie es wäre, wenn die Panzer des Feindes nicht fahren, die Flugzeuge nicht mehr fliegen und die Geschütze nicht mehr schießen könnten.
Dieser Feind wäre komplett handlungsunfähig. Wo soll ich anfangen? Bei zwei Brüdern – dir und mir, dem Diakon und dem Chemiker –, die darüber diskutieren, was man für den Frieden in der Welt tun kann? Oder bei der Mikrobe, die ich von Grund auf komplett neu entwickelt und an ein Konkurrenzunternehmen von Cougar verkauft habe?
Welches Konkurrenzunternehmen?, möchte Gerard am liebsten schreien.
Wahrscheinlich werde ich auch diesen Brief niemals abschicken. Immer wieder fange ich einen an und zerreiße ihn wieder. Der Mann, dem ich meine Entdeckung verkauft habe, hat mir mit dem Tod gedroht, falls ich mit irgendjemandem darüber spreche. Also schreibe ich diese Briefe und verstecke
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