Black Monday
Marisa es gerade noch bis ins Treppenhaus, ehe sie sich übergibt.
Aber die Blutung hat aufgehört. Das Kauterisieren ist zu riskant. Ich warte lieber, bis wir die Antibiotika haben.
Und jetzt Les, denkt Gerard erschöpft.
»Marisa, ruf mich, falls die Wunde wieder anfängt zu bluten. Bob, komm mit.«
Im Treppenhaus wird sein Blick plötzlich verschwommen, irgendetwas stimmt nicht mit seinen Augen. Als er spürt, dass es nur Tränen sind, lässt er es einfach geschehen. Sie laufen ihm über die Wangen, als er ins Wohnzimmer kommt, wo Annie Les' Hosenbein bereits aufgeschnitten und die Wunde gesäubert hat.
»Wie geht's Pettigout?«, fragt Les besorgt.
Er schaut mit zusammengebissenen Zähnen zu, der neue harte Bursche der Marion Street. Bob sagt zu Les: »Dass du in Übersee nie angeschossen worden bist, liegt daran, dass Reporter ein feiges Pack sind und sich verdrücken, sobald es gefährlich wird.«
»Dafür seid ihr tollen Marines zu blöd, euch rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.«
Nachdem Gerard die Wunde gesäubert hat, verbindet er sie mit in Streifen gerissenen Handtüchern. In dem Moment kommt Joe Holmes und berichtet, dass er in Gails Haus nach Alkohol gesucht hat, für die Desinfizierung der Wunden. Gail hat er nicht angetroffen, dafür stehen jede Menge leere Flaschen im ganzen Haus verteilt. Offenbar hat Gail sich nicht getraut, sie in den Müll zu werfen, damit die Nachbarn nicht das Ausmaß ihrer Sucht erkennen.
»Ich wette, sie hat den Stoff von Dubbs gekriegt«, sagt Joe.
Les verzieht das Gesicht. »Glaubst du, sie ist immer noch da drüben?«
Bob Cantoni sagt leise: »Schnappen wir uns die Bande.«
Die drei Männer sehen sich an.
»Wir haben ihre Waffen«, insistiert Bob. »Dubbs ist abgehauen. Die haben Medikamente und Lebensmittel. Wir können nicht hier rumsitzen und abwarten, bis sie sich wieder organisiert haben. Früher oder später werden sie zurückkommen.«
Les nickt tatsächlich. »Bob hat recht«, sagt er.
»Tja, offenbar musste es erst mal hart auf hart kommen, bis ihr zwei mal einer Meinung seid«, meldet Annie sich zu Wort. Ihre Bemerkung löst die Spannung und alle lachen. Aber die Erleichterung währt nicht lange.
»Für heute hat es genug Blutvergießen gegeben«, sagt Gerard. »Das Gebäude, in dem diese Typen hausen, ist mindestens so gut bewacht wie unsere Straße. Wenn wir angreifen, wird es uns genauso ergehen wie denen.«
»Dann werden wir das Gebäude eben morgen auskundschaften«, erklärt Les entschlossen.
Draußen sind die Flutlichter wieder an. Die Überwachungskameras funktionieren alle bis auf eine. Gerard kümmert sich seit Stunden um die Verwundeten, er ist zum Umfallen erschöpft.
Joe Holmes und Marisa übernehmen die Wachschicht. Annie und Paulo werden bei Les und Pettigout bleiben und Gerard wecken, falls etwas Schlimmes passiert. Morgen müssen sie versuchen, Neil zu begraben, der in seinem Haus aufgebahrt wurde. Außerdem müssen sie irgendwie die Leichen der Angreifer fortschaffen.
»Wir brauchen einen ausgeruhten Arzt«, sagt Bob zu Gerard. »Sieh zu, dass du etwas Schlaf bekommst.«
Gerard glaubt zwar nicht, dass er schlafen kann, aber er ist am Ende seine Kräfte. Er geht nach Hause und legt sich ins warme Bett, das immer noch nach Sex riecht. Hat er tatsächlich erst letzte Nacht mit seiner Frau geschlafen? Es kommt ihm vor, als wäre es schon einen Monat her. Jedenfalls haben sie ihre Angreifer in die Flucht geschlagen. Also sollte er sich eigentlich erst einmal entspannen. Aber es gelingt ihm nicht.
Im Traum ist er wieder im Sudan, in einem tukul, einer runden Lehmhütte mit Spitzdach. Durch den kleinen, ovalen Eingang dringt Sonnenlicht herein. Auf dem Lehmboden liegt ein sterbender Dinka, ein großer, ausgemergelter Mann, der an resistenter Tuberkulose leidet.
Larch ist auch da, obwohl er in Wirklichkeit schon lange tot war, als Gerard in den Sudan gerufen wurde.
»Rote Schnapper«, sagt Larch, der neben dem Kranken kniet, und schaut Gerard von der Seite an, als wollte er ihn schon wieder testen.
Gerard weiß, dass »rote Schnapper« beim CDC der Spitzname für Tuberkelbakterien ist, die unter einem Mikroskop aussehen wie Stäbchen, wenn man sie mit säurebeständigem rotem Färbemittel versieht.
Im Traum schwimmen die roten Schnapper zwischen den Lehmwänden herum wie in einem Aquarium, zappeln herum, als wollte das Gift aus ihnen entweichen.
»Vakuolen«, hakt Larch nach. »Was wissen Sie über Vakuolen?«
Vakuolen?,
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