Black Monday
deine Taten geben.«
»Spätestens um 0 Uhr 14 wird Robert Grady die Reise auf die andere Seite antreten«, versprach Lewis in Erinnerung an die Worte, die sein Ururgroßvater nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben hatte. Worte, die er in einem zerfledderten Buch von 1927 stets im Reisegepäck hatte. »Blut war immer an unseren Händen, dazu waren wir ja ermächtigt.«
Und in diesem Moment erblickt er endlich Robert Grady.
Der junge Mann kommt auf dem Weg zur Rezeption ganz nahe an ihm vorbei. Auf den ersten Blick wirkt Grady wie ein typischer unbekümmerter Student. Weißes Hemd mit offenem Kragen, ein bisschen zerknittert. Ausgewaschene Jeans. Abgetragene Sportschuhe und ein Rucksack über der rechten Schulter. Ein junges Gesicht mit einem ungepflegten braunen Bart und babyblauen Augen.
Aber Lewis erspäht auch etwas Rohes unter der jungenhaften Oberfläche. Die Augen sind nicht wirklich klar und unschuldig, sondern scheinen auf etwas Unsichtbares gerichtet zu sein. Lewis, der in einer Umgebung voller Verzweiflung aufgewachsen ist, kennt ihre Erscheinungsformen: Bedürftigkeit, Schrecken, Besessenheit, Gier. Diesen Burschen quälen Vorahnungen, Zwanghaftigkeit und Abhängigkeit vom Zufall.
Lewis beobachtet, wie Bobby Grady sich von der Rezeption abwendet. Aber anstatt nach oben zu gehen, reicht er einem Pagen seinen Rucksack, zeigt auf den Aufzug und steckt ihm ein Trinkgeld zu.
Robert Grady hat offenbar noch vor zu spielen.
Lewis seufzt, steckt einen letzten Dollar in den Glücksradautomaten und wartet, bis Grady auf dem Weg ins Kasino an ihm vorbeikommt. Er drückt ein letztes Mal auf den Knopf, startet ein neues Spiel und steht dann ruhig auf, um seinem Opfer zu folgen.
Doch plötzlich spielt der Automat verrückt, veranstaltet einen Höllenlärm, und die Räder drehen sich wie wild. Alle im Umkreis von dreißig Metern werden auf Lewis aufmerksam. Pagen, Gäste, Kinder, eine Prostituierte. Die Sicherheitskameras an der Decke werden die Szenerie aufzeichnen. Hotelgäste und Neuankömmlinge, die gerade einchecken, recken die Hälse, um etwas sehen zu können. Der Glücksradautomat ist darauf programmiert, bei den äußerst seltenen Gelegenheiten, wo er eine Menge Geld ausspuckt, einen Radau zu machen wie die Luftalarm-Sirenen auf einem amerikanischen Militärstützpunkt. Der Krach übertönt beinahe die Rockmusik, von der die Lobby erfüllt ist.
Klingklingklingkling!!!
Die alte Dame im Rollstuhl schnappt nach Luft. »Mein Gott! Das nimmt ja kein Ende mehr! Fünftausend und … o nein!«
Robert Grady, der sich nicht einmal umdreht, um zu sehen, was los ist, verschwindet in Richtung der Halle für Sportwetten.
Ein Blitzlicht zuckt. Jemand hat ein Foto vom großen Gewinner geschossen.
»Hotelzeitung«, verkündet die Frau mit der Kamera breit grinsend, während ein Kasinoangestellter, ein hispanisch aussehender Mann in einer bunten Jacke, sich mit einem strahlenden Lächeln nähert, in der Hand ein Klemmbrett, auf dem sich vermutlich ein Formblatt für die Steuerbehörde befindet. Spielverluste kann man nicht von der Steuer absetzen, jeder Gewinn dagegen muss versteuert werden. Ist das Leben nicht ungerecht?
Im Bruchteil einer Sekunde entscheidet Lewis instinktiv, was zu tun ist. Würde man diesen rasend schnellen Prozess auf das Tempo sortierter Gedanken verlangsamen, käme dabei in etwa heraus:
Mach dir keine Sorgen wegen der Zeugen. Die Fotos zeigen nicht, wie du wirklich aussiehst. Niemand wird einen Zusammenhang herstellen zwischen dem, was hier abläuft, und dem, was mit Robert Grady später am Abend passieren wird.
Er dreht sich zu der Frau im Rollstuhl um, während der bescheuerte Automat immer weiter lärmt, während sich die Räder drehen, Nullen aufblitzen, nach neunzehn jetzt schon zwanzig erscheint …
»Ich muss mein Flugzeug erwischen«, japst er mit dem für seine Rolle als Lewis Stoke perfekt einstudierten Südstaatenakzent. Er wurde in Österreich, Bahrain und Tunesien ausgebildet.
Die Frau starrt ihn mit offenem Mund an. Seine Worte machen sie fassungslos.
»Meine Frau weiß nicht, dass ich in Las Vegas bin«, sagt er. »Ich bin mit ihrer besten Freundin hier. Wenn ich meinen Flug verpasse, bin ich erledigt!«
Die Augen der alten Dame weiten sich. Endlich hat sie's kapiert. Was sie in dieser Minute an Schock und Nervenkitzel erlebt, ist weit mehr, als sie normalerweise ihrem Häkelkränzchen zu Hause in Houston in zehn Jahren berichten kann.
»Ich fasse es nicht«, sagt er.
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