Black Monday
des Persischen Golfs. Die Zentrale von Al-Dschasira, dem beliebtesten Fernsehsender in der arabischen Welt, ist kürzlich umgezogen und belegt die obersten drei Stockwerke eines prächtigen siebzehnstöckigen Glasturms mit Blick auf das haiverseuchte Meer. Unten dröhnen teure Vergnügungsjachten vorbei an auslaufenden Öltankern und einlaufenden schwerfälligen Containerfrachtern, die beladen sind mit neuen Computern, Fernsehern mit Großbildschirmen, spritfressenden SUVs und italienischen Designermöbeln für die neureichen Millionäre in ihren Eigentumswohnungen an der dichtbesiedelten Küste.
Im sechzehnten Stockwerk, in dem große Unruhe herrscht, sitzt Hassan el Kader im klimatisierten Kontrollraum von Studio C, und aus Furcht, dass man ihn wegen der bevorstehenden Sendung womöglich lynchen wird, läuft ihm der Schweiß über den extrem breiten Rücken.
Bin ich diesmal zu weit gegangen?, fragt er sich.
Hassan ist Chefredakteur der vielfach ausgezeichneten wöchentlichen Nachrichtensendung Faces and Places. Außerdem ist er CIA-Spitzel: Er gibt Informationen, die er von seinen Reportern bekommt, an die Amerikaner weiter. Und die Amerikaner waren äußerst interessiert daran, zu erfahren, woher er den zweiten Bildbeitrag für die heutige Sendung hat, die in einigen Minuten beginnen und mehr als hundert Millionen Zuschauer in der arabischen Welt erreichen wird.
Draußen auf der Bühne, sichtbar durch das Kontrollraumfenster, legt die Visagistin gerade der Moderatorin Leila Shaalan das letzte Make-up auf.
Alles begann vor drei Wochen wie viele seiner Topgeschichten im Laufe der letzten Jahre. Frühmorgens um zwei klingelte Hassans Handy. »Ich habe eine Wahnsinnsgeschichte für Sie«, flüsterte ihm im Dunkeln eine vertraute Stimme ins Ohr, eine seiner besten Quellen, ein Mann, den er noch nie gesehen hat. »Es geht um einen alten Mann in den pakistanischen Bergen.«
Ein alter Mann, der wahrscheinlich heute Nacht von den Amerikanern oder Briten geschnappt wird, denkt Hassan, während das »Ruhe! Aufnahme!«-Schild aufleuchtet und die Studiogäste sich den Kameras zuwenden, so dass die Sendung beginnen kann.
»Ein heiliger Mann, der Dinge vorhersagt«, erklärte ihm die Stimme.
»Jeder sagt Dinge vorher«, erwiderte er darauf.
»Aber seine Vorhersagen treffen ein. Er weiß von Dingen, die weit weg von seinem Dorf geschehen, selbst in Washington. Er hat etwas Gewaltiges vorherzusagen. Oder soll ich der BBC die Möglichkeit geben, es an Ihrer Stelle aufzuzeichnen, mein fetter Freund?«
Noch dreißig Sekunden bis zur Sendung, im Studio herrscht Hochspannung, und Hassans Pulsschlag beschleunigt sich. Der sechsundreißigjährige Kuwaiti – Bachelor of Science an der University of Kuwait, Journalismusstudium an der Columbia University, Reporter mit diversen Auszeichnungen – sitzt vor Reihen von Fernsehern, die die Wände bedecken und ihm Bilder aus der ganzen Welt liefern. Eine Demonstration in Chicago gegen überhöhte Benzinpreise. Streikende Eisenbahner in Paris. Eine Truppenparade in Nordkorea. Schwimmende Trümmer einer verunglückten Alitalia-Maschine, die vergangene Nacht auf dem Weg nach Rom ins Mittelmeer gestürzt ist.
Die menschlichen Sinnesorgane sind nicht in der Lage, ein geheimes Leben zu ergründen, denkt Hassan manchmal, wenn er sich daran erinnert, wie die Amerikaner ihn damals in Kuwait rekrutiert haben. Sie hatten sein Land von den Irakern befreit. Sein Vater – ein Pilot – war im Krieg gefallen. Dem idealistischen Studenten leuchtete es ein, dass Araber sich am Kampf gegen den Terrorismus beteiligen mussten.
Wir brauchen jemanden bei Al-Dschasira, hat der amerikanische Journalistik-»Professor«, der ihn rekrutiert hatte, gesagt. Wir brauchen eine Pipeline in die Welt des Terrorismus. Wir können das Leben von Arabern retten, wenn Sie uns Namen, Adressen, Quellen nennen. Nur hin und wieder, bei wichtigen Angelegenheiten. Werden Sie das tun?
Seitdem hat er dabei geholfen, weitere Bombenanschläge in Madrid und Baltimore zu verhindern. Und dank seiner heutigen Warnung wurde in ganz Europa und den USA die höchste Terroralarmstufe ausgerufen. Sondereinheiten der Polizei sind im Einsatz. Zusätzliche Hubschrauber befinden sich in der Luft. Auf Flughäfen und in Häfen wurden verstärkte Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
»Und nun«, sagt die Stimme eines Nachrichtensprechers, während ein Globus sich auf der Hälfte der Bildschirme im Raum dreht, »begrüße ich Sie zu Faces and
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