Black Rabbit Summer
Handy von Eric in meiner Tasche immer noch nach mir und ich war noch immer versessen darauf, es endlich einzuschalten. Doch ich tat es nicht. Ich weiß nicht, ob ich bloß die Erregung auskosten wollte zu wissen, dass es da war – so wie man das, was am besten schmeckt, bis zuletzt auf dem Teller lässt –, oder ob es eher daran lag, dass ich die Wahrheit gar nicht wissen
wollte
.
Ich hatte keine Ahnung.
Und ich wollte auch nicht drüber nachdenken.
Abgesehen davon
, sagte ich mir,
musst du dringend duschen. Du stinkst nach Schweiß. Deine Haut fühlt sich total klebrig an. Deine Haare sind angeklatscht und fettig, dein Kopf ist ganz heiß.
Ich duschte.
Zog frische Sachen an.
Ich ging zurück in mein Zimmer, setzte mich aufs Bett und starrte Erics Handy an...
Dann steckte ich es zurück in die Tasche und schaltete Sky News an.
Das Erste, was ich sah, war ein ziemlich schlechtes Foto von Raymond. Es stammte von einer Schulaufnahme, so einem Gruppenfoto, das sie vom ganzen Jahrgang machen. Jeder kennt diese Dinger – alle stellen sich in Reihen auf, die Kleinsten vorn, die Größten hinten, man muss so still halten wie |349| möglich und jedes Mal ist irgendein Spaßvogel dabei, der Grimassen zieht oder hinter dem Kopf von irgendwem zwei Finger in die Höhe reckt.
Kaninchenohren...
Die Nachrichtenleute hatten sich jedenfalls ein solches Foto beschafft und einfach Raymonds Gesicht ausgeschnitten und vergrößert. Deshalb wirkte es erstens völlig verschwommen und körnig, wodurch Raymond aussah wie auf der Flucht. Und zweitens trug er seine Secondhand-Schuluniform, das Hemd bis zum Hals zugeknöpft, aber ohne Krawatte, was ihn irgendwie arm und verzweifelt aussehen ließ. Doch am schlimmsten war, dass ihn die Kamera erfasst hatte, als er gerade zur Seite schaute und nervös jemanden anlächelte, was ihn wie einen geisteskranken Serienkiller erscheinen ließ.
Was vermutlich genau der Punkt war, überlegte ich.
Denn obwohl die Nachrichtensprecher darauf achteten, nicht ausdrücklich eine Verbindung zwischen Raymonds und Stellas Verschwinden herzustellen, lag doch etwas im Tonfall ihres Berichts, das ziemlich deutlich machte, was sie
wirklich
dachten. Raymond Daggett, so hieß es mit besonderer Betonung, war auf demselben
Kirmesplatz
gewesen wie Miss Ross. Und auch wenn von einer näheren Bekanntschaft zwischen den beiden Teenagern nichts
bekannt
war und die Polizei die Möglichkeit einer Doppelentführung nicht
ausdrücklich
ausschloss, hielten Berichterstatter, die mit den Untersuchungen vertraut waren, die Wahrscheinlichkeit für
äußerst
gering...
Und dann zeigten sie ein Bild von Stellas Zuhause – Sicherheitstore, hohe Mauern, weite Rasenflächen –, gefolgt von einem Foto mit schäbigen kleinen Reihenhäusern (die |350| nicht mal aus St Leonard’s waren, geschweige denn von der Hythe Street), nur um zu zeigen, in was für einer Bruchbude dieser Raymond lebte... und danach weitere Fotos von Stella, die wie immer gepflegt und schön aussah, und dazu noch einmal das gleiche Bild von Raymond, auf dem er geistesgestört und verzweifelt wirkte.
Das war eben Fernsehen.
Es war nicht real.
Gar nichts schien mehr real.
Selbst das
, merkte ich plötzlich, als ich Erics Handy aus der Tasche zog,
selbst das hier fühlt sich nicht so real an, wie ich dachte. Es ist ein Haufen Plastik, eine Handvoll Zeug, das pieppieppiep macht...
Doch es war das Einzige, was ich hatte.
Und ich wusste, dass ich schauen musste, was es mir enthüllen würde.
Ich klappte es auf und schaltete es an... und dann ganz schnell wieder aus, weil Dad an die Tür klopfte und eintrat.
Mum musste ihm schon erzählt haben, wie die Befragung bei der Polizei gelaufen war, denn Dad versuchte sofort zu erklären, wieso Kriminalkommissar Barry so hart mit mir umgesprungen war.
»Ich will ihn nicht in Schutz nehmen«, sagte er, »und ich behaupte auch nicht, dass er in Wirklichkeit ein netter Typ ist. Das ist er nämlich nicht. Er ist ein eiskalter Dreckskerl, seit jeher, und persönlich kann ich ihn nicht ausstehen. Aber er ist gut in seinem Job. Er weiß genau, was er will. Und er bringt Ergebnisse. Was immer du also über ihn denkst, Pete, wie immer du dich heute gefühlt hast, nimm’s dir nicht zu Herzen, ja? So läuft das nun mal.«
|351| »Ja, ich weiß.«
»Ich meine, wenn
ich
auf der andern Seite des Tisches gesessen hätte, wär ich genauso hart mit dir umgesprungen wie Barry.«
Ich grinste ihn an. »Das hätte Mum gar
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