Black Rabbit Summer
fing an, als Raymond elf war und seine Eltern ihm zum Geburtstag ein Kaninchen schenkten. Es war ein dürres kleines Ding, total schwarz mit leicht glasigen Augen, einem verfilzten Bürzel und räudigem Fell. Ich glaube, Raymonds Dad hatte es im Pub oder sonst wo jemandem abgekauft. Vielleicht hatte er es auch irgendwo gefunden... keine Ahnung. Raymond war jedenfalls ziemlich überrascht gewesen, als er zum Geburtstag ein Kaninchen bekam. Einerseits, weil er sich gar keins gewünscht hatte – und es war das erste Mal in seinem Leben, dass er von seinen Eltern etwas bekam, ohne es sich gewünscht zu haben. Andererseits, weil seine Eltern seinen Geburtstag normalerweise vergaßen. Außerdem
mochte
er damals gar keine Kaninchen, wie er mir später gestand.
Doch das sagte er seinen Eltern nicht. Es hätte sie nur geärgert. Und Raymond hatte vor langer Zeit gelernt, dass es nicht gut war, seine Eltern zu verärgern. Deswegen hatte er sich herzlich bedankt und merkwürdig gelächelt, während er das Tier in den Armen hielt und streichelte.
»Wie willst du’s nennen?«, hatte seine Mutter gefragt.
»Raymond«, antwortete Raymond. »Ich werde es Raymond nennen.«
Aber das war gelogen. Er hatte nicht vor, das Kaninchen Raymond zu nennen. Er hatte nicht vor, ihm überhaupt einen Namen zu geben. Warum sollte er? Es war ein Kaninchen. Kaninchen haben keinen Namen. Sie
brauchen
keinen Namen. Sie sind bloß kleine stumme Tiere.
Es war wohl ein Jahr später, als Raymond mir erzählte, dass das Kaninchen angefangen habe, zu ihm zu sprechen. Anfangs dachte ich, er wolle mich auf den Arm nehmen und |21| hätte sich wieder nur eine seiner komischen kleinen Geschichten ausgedacht – Raymond dachte sich ständig komische kleine Geschichten aus –, aber nach einer Weile begriff ich, dass er es ernst meinte. Damals waren wir oft unten am Fluss – nur wir beide, wir hingen rum, suchten nach Mäusen und ließen Kieselsteine über den Fluss springen, taten das, was man eben so tut –, und als Raymond mir von seinem Kaninchen erzählte, zeigte mir sein Blick, dass er fest überzeugt war von allem, was er sagte.
»Ich weiß, das klingt total bescheuert«, sagte er zu mir, »und ich weiß auch, dass er nicht
wirklich
zu mir spricht, aber irgendwie höre ich was in meinem Kopf oder so ähnlich.«
»Was denn?«, fragte ich ihn.
»Keine Ahnung... Wörter, denk ich. Aber es sind keine richtigen Wörter. Mehr so was wie... ich weiß nicht... wie ein Geflüster im Wind.«
»Gut, aber woher weißt du, dass es von deinem Kaninchen kommt?«, fragte ich. »Ich meine, es könnte doch auch irgendwas sein, das dir im Kopf rumspukt.«
»Er erzählt mir was.«
Ich starrte ihn an. »Und was?«
Raymond zuckte die Schultern und ließ einen Kiesel über den Fluss hüpfen. »Einfach irgendwas... manchmal sagt er
Hallo
. Oder
Danke
. So was in der Art.«
»Das ist alles? Bloß
Hallo
und
Danke
?«
Raymond blickte nachdenklich über den Fluss, mit leerem Blick, weit weg. Als er sprach, klang seine Stimme seltsam. »Schöner Himmel heute Abend...«
»Was ist los?«, fragte ich.
»Das hat Black Rabbit gestern Abend gesagt. Er hat mir erzählt, |22| dass er den Himmel schön findet.«
»Schöner Himmel heute Abend?«
»Ja... und Grün ist frisch wie Wasser. Das hat er auch gesagt.
Grün ist frisch wie Wasser
. Am Tag davor hat er gesagt:
Dieses gute hölzerne Haus
und
Stroh riecht blauen Himmel
. Er sagt alles Mögliche.«
Raymond verstummte wieder und ich wusste auch nichts weiter zu sagen, deshalb saßen wir bloß eine Weile rum und machten nichts, sondern starrten nur schweigend auf das trübe braune Wasser des Flusses.
Nach ein, zwei Minuten wandte sich Raymond um und sah mich an. »Ich weiß, das ergibt keinen Sinn, Pete, und ich weiß auch, dass es verrückt klingt... aber es gefällt mir. Es gibt mir das gleiche Gefühl, wie ich’s jeden Tag beim Heimkommen habe – wenn ich durch den Garten zum Stall geh und Black Rabbit füttere, ihm frisches Wasser hinstelle und ihn ein bisschen rauslasse, während ich den Stall sauber mache ... Es ist, als hätte ich diesen Freund, der mir Sachen erzählt, die okay sind. Er sagt mir was, das mir nicht wehtut. Dann fühl ich mich gut.«
Zwei Jahre später, als Black Rabbit an einer Pilzinfektion im Maul starb, weinte Raymond, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Er weinte drei volle Tage lang. Als ich ihm half, Black Rabbit im Garten in einer alten Schachtel zu beerdigen, weinte er immer
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