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Black Rabbit Summer

Black Rabbit Summer

Titel: Black Rabbit Summer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Wert drauf gelegt, wie ich aussah. Wahrscheinlich hatte er noch nie Wert drauf gelegt, wie
irgendwer
aussah.
    Aber ich fühlte mich ganz okay, und selbst als ich den Fußweg zu Raymonds Gartentor entlangging und das Sonnenlicht den kalten Schatten der schwarz gefleckten Ziegelsteinmauern Platz machte, ging es mir so gut wie schon lange nicht mehr.
    Als ich ankam, war das Tor zu. Es ist ein großes altes Holztor, |29| zu hoch, um drüber wegzuschauen, deshalb konnte ich nicht sehen, ob Raymond im Garten war, und hören konnte ich auch nichts. Trotzdem wusste ich, dass er da war. Ich wusste es immer. Ich hatte im Lauf der Jahre so oft vor dem Tor gestanden, dass ich irgendwie
fühlte
, ob Raymond im Garten war oder nicht. Ich hab nie kapiert, wie das sein kann, aber es hat jedes Mal funktioniert. Genau genommen vertraute ich dem Gefühl so sehr, dass ich das Tor gar nicht öffnen musste, wenn ich spürte, er war nicht da. Ich konnte einfach umkehren und wieder nach Hause gehen.
    Heute jedoch war er da.
    Ich wusste es.
    Durch das Tor gelangte ich zum unteren Ende des Gartens, und als ich mich nach rechts umschaute, sah ich Raymond auf einem klapprigen Holzstuhl neben dem Schuppen sitzen. Doch er schien mich nicht bemerkt zu haben. Er saß nur da, starrte in den Garten, wobei sein Blick ins Leere ging, der Kopf rührte sich nicht. Die einzige Bewegung, die ich an ihm wahrnahm, war ein leichtes Zucken der Lippen, als würde er sich selbst Geheimnisse zuflüstern. Doch abgesehen davon wirkte er wie eine Statue.
    Der Kaninchenstall neben ihm war leer, die Tür aus Maschendraht stand weit offen. Ich sah mich im Garten um – ein armseliges, vertrocknetes Rasenstück mit überwucherten Rändern – und entdeckte Black Rabbit, der im Schatten eines Fliederstrauchs hockte. Er tat nicht viel – saß einfach nur da, schaute sich um und ließ die Nase nachlässig zucken.
    »Hallo, Pete.«
    Als ich Raymonds Stimme hörte, schaute ich zu ihm hinüber und sah, wie er mich anlächelte.
    »Hallo, Raymond«, sagte ich. »Wie geht’s?«
    |30| Er nickte, noch immer lächelnd. »Ja, alles okay... du weißt schon... schön heiß.« Er schaute nach oben und dann, fast im selben Moment, wieder mich an. »Blauer Himmel«, sagte er.
    »Ja...«
    Als ich zu ihm hinüberging, musste ich selbst lächeln. Raymond brachte mich immer zum Lächeln. Sein Gesicht, sein Lächeln, alles an ihm ließ mich lächeln. Es war wirklich seltsam, denn die meisten Menschen fanden, dass Raymond ziemlich merkwürdig aussah... und irgendwie stimmte das auch. Sein Kopf war zu groß für seinen Körper, die Augen wirkten ein bisschen durchgeknallt und durch seine Kleidung kam er einem klein vor, fast wie ein Kind. Er zog sich nicht wirklich wie ein Kind an und wirkte auch nicht so, aber seine Kleidung schien ihn irgendwie schrumpfen zu lassen. Ursprünglich hatte ich gedacht, es läge vielleicht daran, dass seine Eltern die Sachen in Wohltätigkeitsläden erstanden, außerdem kauften sie alles eine Nummer zu groß, damit er »reinwachsen« konnte. Doch im Lauf der Jahre hatte ich Raymond in allen möglichen Sachen gesehen – nagelneuen Hemden, hautengen Jeans (die ihm seine Mutter irgendwann mal aufgezwungen hatte) – und am Ende war mir klar, dass es egal war, was er anhatte – alte Klamotten, neue Klamotten, zu groß, zu klein –, alles ließ ihn klein erscheinen.
    Doch ich
mochte
, wie er aussah – das Merkwürdige, das Andersartige, das Seltsame. Es stand ihm. Es machte ihn zu dem, der er war.
    Es machte ihm aber auch manchmal das Leben schwer.
    Doch jetzt gerade – als er von seinem Stuhl aufstand, in den Schuppen ging und mit einem zweiten klapprigen Stuhl, der für mich war, wieder herauskam –, jetzt gerade ging es |31| ihm gut. Ich beobachtete ihn, wie er den Stuhl neben seinen stellte, den Staub abwischte und mir linkisch ein Zeichen gab, mich zu setzen.
    Ich setzte mich.
    Raymond setzte sich.
    Wir grinsten uns an.
    »Und?«, sagte ich. »Dann geht es dir also gut?«
    Er nickte, lächelte, danach warf er einen Blick zu Black Rabbit hinüber. Das Kaninchen saß immer noch einfach nur da und machte nichts.
    Ich sagte: »Wird langsam groß.«
    »Ja...«
    Ich betrachtete das große schwarze Kaninchen. Tatsächlich handelte es sich um Black Rabbit, den Dritten. Black Rabbit, der Zweite, war im letzten Jahr an einem Rattenbiss gestorben, der sich entzündet hatte. Raymond war eine Weile traurig gewesen, doch diesmal hatte er nicht geweint, sondern ihn

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