Black Rain: Thriller (German Edition)
schmächtig und aufgrund seines hohen Alters noch weiter geschrumpft. Er bewegte sich mit einer Anmut, die aus Vorsicht geboren wurde; sein Körper glich einem verkrümmten alten Baum. Schuppige, fleckige Haut bedeckte Hände und Gesicht, und die Augen lagen halb verborgen hinter runzligen Hautfalten. Er wurde der Ualon genannt, der Alte – der Große Vater und Anführer des Stamms. Diesen gebrechlichen Mann verehrten die Chollokwan mehr als alle anderen. Seine Entscheidung würde verbindlich sein.
Ehe er sprach, begutachtete der Alte seine Gäste. Er trat nahe an sie heran, berührte ihre Gesichter und bei manchen die Hand, beurteilte sie anhand des unbezahlbaren Wissens eines langen Lebens.
Er schaute auf den Verband um Danielles Bein, berührte die Wunde an McCarters Schulter, den blutigen Schnitt auf Hawkers Wange. »Krieger«, sagte er in der Sprache der Chollokwan.
Der Alte und seine Kollegen vom Rat bezogen gegenüber von ihnen Stellung. Beide Gruppen setzten sich, und die Menge bildete einen Kreis um sie herum.
Aus der Kehle des greisen Mannes drang ein heiseres Flüstern, langsam formte er seine Worte in der merkwürdig gepressten Sprache der Chollokwan. Devers lauschte aufmerksam.
»Er sagt, die Seher hätten die Ankunft der ›Westmänner‹ vorhergesagt, und dass es einen Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen geben würde. Er sagt, sein Vater habe ihm das erzählt, als er ein Junge war, und jetzt sei es geschehen.«
Devers benutzte den Ausdruck »Westmänner«, aber McCarter nahm an, dass er ihn selbst erfunden hatte, da es wahrscheinlich keine englische Übersetzung für das Wort gab, das die Chollokwan für Menschen von außerhalb ihrer Welt benutzten. Schließlich war für die Chollokwan das NRI-Team ja aus dem Osten gekommen, von Manaus, das flussabwärts lag.
McCarter sah Danielle an. Sie nickte.
»Sagen Sie ihm, wir sind nicht hier, um zu kämpfen«, begann McCarter. »Sagen Sie ihm, wir sind gekommen, um zurückzugeben, was ihnen gestohlen wurde, wahrscheinlich zur Zeit seines Vaters. Und auch …« McCarter neigte leicht den Kopf, »… um sie um Hilfe zu bitten.«
»Sie müssen ihm die Kristalle zeigen«, sagte Devers. »Die Krieger schienen mich nicht zu verstehen, vielleicht haben sie eine ganz andere Bezeichnung dafür.«
Devers fing an zu reden, und Danielle zog die Schatulle heraus, die sie Kaufman vor seinem Tod wieder abgenommen hatte. Sie entnahm ihr die Kristalle und gab sie McCarter. Ein Murmeln ging durch die Zuschauermenge.
Der Alte beugte sich vor, um die Kristalle zu begutachten. »Ta anik Zipacna«, sagte er, was Devers als »die Augen des Zipacna« übersetzte.
McCarter wurde fast schwindlig bei seinen Worten. Sie bewiesen, dass diese einfachen Nomaden die Abkömmlinge der Maya waren.
»Zipacna sind die Lebensstehler«, erklärte der Alte, »die Menschenräuber, die Pest; die Zipacna sind ›Die vielen Tode, die durch die Nacht streifen‹. All das sind Namen für die Zipacna.«
Eine weitere Erklärung war nicht nötig.
Der Alte hob die Hände in einer Geste, die den ganzen Stamm einschloss. »Das Volk kommt, um auf die Zipacna aufzupassen, um zu sehen, ob sie aus der Höhle steigen – aus den Tiefen des steinernen Bergs, dem Tok Nihra. Sie wurden vor vielen, vielen Vätern zuletzt gesehen. Ja, bis jetzt haben sie immer geschlafen. Bis die ›Westmänner‹ sie freigelassen haben. Und deshalb ist das große Himmelsherz zornig, und der Regen kommt nicht.«
Himmelsherz , dachte McCarter. Der Maya-Begriff lautete ›Herz des Himmels‹, es meinte die Götter, vor allem den Hauptgott Hurrikan. McCarter sprach den Alten direkt an. »Der Regen würde die Zipacna töten«, sagte er. »Wenn der Schwarze Regen fiele, wäre das Volk gerettet.«
Nachdem Devers übersetzt hatte, starrte der Alte McCarter an, vielleicht ähnlich benommen wie der Professor Augenblicke zuvor. Seine Augen waren weit offen, ihr leuchtender Glanz nicht mehr hinter Hautfalten verborgen. Auch wenn McCarter es nicht wusste, war »der Schwarze Regen« genau der Begriff, den die Chollokwan für die ersten schweren Regenfälle der Saison benutzten. Es war ein heiliger Begriff, und der Alte hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass die Westmänner ihn kannten.
Hier warteten sie, bis der Schwarze Regen fiel. Die schweren Regenfälle würden ihnen verraten, ob sie Tok Nihra gefahrlos verlassen konnten. In den meisten Jahren regnete es selbst in der Trockenzeit so viel, dass sie willkürlich entscheiden
Weitere Kostenlose Bücher