Black Rose
wenn er ein rundes Dutzend
der interessantesten Fälle auf zwanzig oder dreißig Seiten zusammenstrich,
werde er Leser finden, die an den Geschichten mehr als nur ein flüchtiges Interesse
finden würden. Seit Conrad ihm zum ersten Mal erzählt hatte, was ihm
vorschwebte, hatte Morrison, der nichts lieber tat, als ihn über die großen
Anwälte der Vergangenheit reden zu hören, nie aufgehört, ihn dazu zu ermutigen.
Conrad lebte immer noch in dem Fünf-Zimmer-Haus, das er im
ersten Jahr seiner kurzen Ehe gekauft hatte. Das Wohnzimmer war voller Bücher,
und das zweite Schlafzimmer war sein Arbeitszimmer. Er hatte gerade begonnen,
sich durch das Protokoll des ersten Prozesses durchzuarbeiten, das er in den
Band aufnehmen wollte, über einen Mord, der sich vor fast vierzig Jahren
ereignet hatte, als an der Haustür ein Paket abgegeben wurde. Richterin Brunelli
hatte ihm gesagt, da gebe es ein Buch, das er unbedingt lesen solle. Er setzte
sich an den Küchentisch und schnitt die Schnur durch, mit der das braune
Einwickelpapier zusammengehalten wurde. Doch es war nicht das Buch von
Richterin Brunelli, und die Worte auf der Titelei des Lederbandes waren mit
Bleistift geschrieben. Es war eine Art Tagebuch, wie Conrad bald herausfand,
ein erzählender Bericht über das, was Andrew Morrison erlebt und getan hatte.
Dem Datum in der oberen rechten Ecke der ersten Seite zufolge hatte er es an
dem Tag begonnen, nachdem der letzte Prozess seines Lebens, die Verteidigung von
Danielle St. James, vorüber war.
Conrad fand einen Umschlag mit seinem Namen darauf, dazu eine
Anweisung, ihn zu öffnen, wenn er alles durchgelesen habe, was Morrison
geschrieben hatte. Er fing an zu lesen und konnte das Buch nicht mehr aus der
Hand legen. Es schilderte alles, was passiert war, angefangen mit dem Tag, an
dem Morrison Danielle St. James kennen lernte, bis zu der tödlichen Kreuzfahrt
in den Gewässern vor Sizilien. Der letzte Eintrag war in der Nacht vor seinem
Tod geschrieben worden. Mit jeder Seite, mit jeder neuen Enthüllung ging Conrad
auf, wie wenig er wirklich über Morrison gewusst, wie wenig er verstanden
hatte. Als er den Brief öffnete, wusste er nicht, was er denken sollte. Es war
ein einziger mit Maschine geschriebener Absatz, in dem ihm mitgeteilt wurde, unter
seinem Namen sei ein Flugticket nach Palermo auf Sizilien reserviert worden.
Abflug sei in zwei Tagen. Der Brief war nicht unterschrieben. Der einzige
Hinweis auf seinen Urheber war eine geheimnisvolle Zeile, in der es hieß, die
Geschichte, die Morrison begonnen habe, werde zu Ende geführt und es gebe
keinerlei Grund zur Besorgnis.
Conrad war seit seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht außer Landes
gewesen. Der Krieg hatte ihm jeden Gedanken an Abenteuer genommen.Er
hatte kein besonderes Verlangen, nach Sizilien oder sonst wo hinzureisen. Aber
nach dem, was er gelesen und erfahren hatte, schien es keine Wahl zu geben – er
musste herausfinden, was wirklich in jener letzten Nacht auf der Black Rose geschehen
war, in der letzten Nacht, in der Morrison noch lebte.
Als er in Palermo die Maschine verließ, wartete
ein Fahrer auf ihn, der ein weißes Plakat mit dem Namen Conrad darauf hielt.
Als Conrad fragte, wer ihn geschickt habe, erwiderte der Mann, er befolge nur
Anweisungen und sei dorthin gefahren, wohin er habe fahren sollen.
»Und wohin fahren Sie mich jetzt?«, fragte Conrad.
Mit einem breiten Lächeln erklärte der Fahrer: »An einen
sehr angenehmen Ort.«
Als sie in die Einfahrt zu einer prächtigen Villa einbogen,
fragte der Fahrer: »Und Sie haben nicht gewusst, dass Sie dort wohnen werden?
Im Hotel Villa Igiea, dem besten, das wir haben?«
Der Hotelportier gab Conrad den Schlüssel zu seinem Zimmer im
dritten Stock. Das Zimmer war genau wie das, von dem er gelesen hatte, mit
tiefen Fenstern und grünen Läden und einem Ausblick auf den von Palmen
gesäumten Hof zur Marina und zum Meer hin. Das Einzige, was fehlte, war eine
weiße Yacht in der Größe der Black Rose, aber Conrad hatte dennoch eine
Vorstellung davon – jetzt, da er Morrisons Geschichte kannte –, was dieser empfunden
haben musste, als er an jenem ersten Tag nach seiner Ankunft im Hotel
stundenlang aus dem Fenster gestarrt und sich gefragt hatte, was jetzt wohl
passieren würde, nachdem er sie gefunden hatte, die Frau, die ihn erst verraten
und dann vernichtet hatte.
Conrad war nach Sizilien geflogen, weil er jemanden treffen
sollte, doch er kannte weder seinen Namen, noch wusste
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