Black Swan - Silberner Fluch
Möglichkeiten beiseitestießen, die uns das Schicksal derart auf dem Silbertablett serviert?«
Ja, wer? Nach den finsteren Enthüllungen über unsere finanzielle Situation heute früh – sollte ich da nicht ein Geschenk annehmen, das mir das Schicksal geradezu in den Schoß legte? Tausend Dollar würden meine Geldprobleme nicht lösen, aber dennoch, konnte ich es mir wirklich leisten, einen bezahlten Auftrag abzulehnen?
»Okay«, sagte ich und streckte die Hand aus. »Ich bin einverstanden. Ich werde das Kästchen heute Abend öffnen und es Ihnen morgen früh zurückbringen.«
Der Juwelier nahm die Schatulle mit dem blauen Samttuch auf, und ich erkannte, dass es sich dabei um einen Schmuckbeutel handelte. Als er sie mir reichte, hörte ich, dass sich etwas darin bewegte; ein Rascheln erklang, als ob der Wind durch Herbstlaub fuhr.
»Oh, und ich hätte auch gern die Papiere, die sich darin befinden«, sagte er, als ich das Kästchen an mich nahm. Es war schwerer, als ich erwartet hatte. Als ich es betrachtete, sah ich, dass sich die Linien wieder bewegten. Es muss eine Täuschung sein, die durch das Design entsteht – ein trompe l’œil . Aber statt sich auszubreiten, zogen sich die Linien nun zusammen, türmten sich auf und rollten dahin wie die Wogen des Meeres, angezogen von der Kraft des Mondes. Einen Augenblick lang war der Raum vom brackigen Atem der Ebbströmung erfüllt. Ich schüttelte mich, um die Illusion zu vertreiben, und
bevor der Mann seine Meinung über den Auftrag ändern konnte – oder ich selbigen ablehnen. Dann ließ ich das Kästchen in den samtenen Beutel gleiten und verstaute es in meiner geräumigen Kuriertasche – meine Mary-Poppins- Tasche, wie meine Freundin Becky immer sagte. Schließlich bedankte ich mich bei dem Juwelier und ging hinaus in den Regen.
Mein Fuß hatte kaum den Bürgersteig berührt, als ein Taxi erschien. Seine Leuchtanzeige schien wie der Lichtkegel eines Leuchtturms durch den Nebel und den Regen und verkündete, dass es frei war. Meine guten Vorsätze hinsichtlich der Sparsamkeit vergessend, winkte ich den Wagen heran und sank dankbar auf den Rücksitz. Dann gab ich dem Fahrer meine Adresse und schloss die Augen, um weitere subjektive Sehstörungen abzuwehren, die meine Migräne mit sich brachte. Erst, als das Taxi vor unserem Haus hielt, wurde mir klar, dass ich weder den Namen noch die Adresse des Juweliers wusste – oder mir auch nur gemerkt hatte, in welcher Straße das Geschäft lag. Ich hatte keine Ahnung, wie ich die Schatulle zurückbringen sollte, sobald sie geöffnet war.
Verschneite Felder in Frankreich
Zwar hatte die Galerie geschlossen, aber Maia, unsere Rezeptionistin, war noch da. Seltsamerweise schien sie immer länger und engagierter zu arbeiten, seit wir sie nur noch für drei Tage die Woche bezahlen konnten. Der »Berater«-Status, den wir ihr angeboten hatten – inklusive einer kleinen Beteiligung an jedem Verkauf anstelle des Gehalts für zwei Tage -, kam ihr offenbar entgegen, obwohl wir kein Geheimnis daraus gemacht hatten, welches Risiko die Rezession für den Bestand der Galerie bedeutete.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Pissarros von Sotheby’s zurückgekommen sind«, erklärte sie, während sie in einen taubengrauen Brokatmantel schlüpfte, der aussah, als hätte ihn auch ein Höfling zur Zeit Karls II. tragen können, wenngleich vermutlich nicht in der Kombination mit einem paisleygemusterten Samtminirock und Ugg-Boots. »Mr. James hat sie ins hintere Büro gebracht, aber ich bin nicht sicher, ob er sie noch in den Safe stellen konnte … Mr. Reese kam ungefähr zur selben Zeit.«
»Mit einer Flasche Stolichnaya vermutlich«, bemerkte ich. Zach Reese, einer der ältesten und besten Freunde meines Vaters, war ein abstrakter Maler, dessen Werke sich in den frühen Achtzigern gut verkauft hatten. Sie waren immer noch recht gefragt, obwohl Zach kaum noch etwas Neues erschuf. Er saß lieber im Hinterzimmer der Galerie seines besten Freundes und ließ die ruhmreichen Tage von Basquiat und David Hockney wiederaufleben. »Was war diesmal der Anlass?«, fragte ich.
»Eine Willkommensparty für die Pissarros«, sagte Maia und rollte mit den Augen. »Zu schade, dass sie nicht verkauft wurden«, setzte sie dann hinzu. »Aber Sie wissen ja, was man über Schneegemälde sagt …«
»Sie verkaufen sich nicht während einer Rezession. Wobei wir beim Thema wären – gab es Kundschaft?«
»Nur ein paar feine Damen aus Long Island,
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