Black Swan - Silberner Fluch
über Existenzialismus diskutierten …«
Mein Vater schwelgte noch eine Weile in seinen Erinnerungen an die Zeiten, die er mit meiner Mutter in den Fünfzigerjahren in Paris verbracht hatte, und erzählte von
den späteren Reisen, die sie dorthin unternommen hatten, um Bilder zu kaufen. Ich war es zufrieden, ihm zuzuhören, mir das Bild anzusehen und mehr Champagner zu trinken, als ich hätte tun sollen. Als Zach nach Hause fuhr und mein Vater ins Bett ging, dämmerte es schon fast. Ich blieb am Küchentisch sitzen und sah das Bild an, während sich langsam das graue Morgenlicht über die Leinwand stahl.
Das Bild einer alten Kirche in Paris. Das war es, was Marguerite D’Arques in ihrer Londoner Unterkunft für Will zurückgelassen hatte, als sie ihn verließ. Er verstand es damals als Aufforderung, sie zu suchen – und schließlich fand er sie, indem er einem Hinweis folgte, den er in einer Kirche entdeckte, und der wiederum zu anderen Hinweisen führte, bis er sie an jenem See unterhalb des Turms tatsächlich aufspürte – an jenem Ort, an dem sie das Wesen heraufbeschwor, das sie zu einer Sterblichen machte. War nicht Will nun mit der silbernen Schatulle dorthin unterwegs? Er sagte, dass er über die Jahre immer wieder versucht hatte, den Weg wiederzufinden, ohne dass es ihm gelungen war, aber vielleicht hatte er es dieses Mal geschafft, und vielleicht hatte er sich gefragt, ob ich seiner Spur folgen würde, wenn ich wusste, wo sie begann.
Ich suchte in meiner Tasche nach meiner Lupe, doch stattdessen förderte ich die Liebaugenbrosche zutage. Es war mir zur Gewohnheit geworden, sie bei mir zu tragen und sie immer mal wieder vor mein Auge zu halten, stets in der Hoffnung, ich würde irgendwann wieder etwas anderes sehen als die leere silberne Rückseite. Nun hielt ich sie vor das Gemälde. Kurz fragte ich mich, ob ich doch
die Lupe erwischt hatte, denn ich sah wie durch Glas die Szene auf dem Bild vor mir … den regennassen Park, die steinerne Kirche … doch dann merkte ich, dass der Regen wirklich fiel, und während ich zusah, ging eine Gestalt in dunklem Mantel vorbei, deren Stiefel die Spiegelung des Lampenscheins in den Pfützen unterbrachen.
Ich blinzelte, und die Vision verschwand abrupt. Die Brosche war dunkel, das Gemälde reglos. Vielleicht hatte ich es mir eingebildet, oder vielleicht hatte sich Madame Dufays Auge, mochte es auch vom Rauch beschädigt sein, für einen kleinen Augenblick erholt, als es eines so vertrauten Ortes ansichtig wurde.
Ich trug das Bild nach oben und lehnte es gegen das Fenster hinter meinem Werktisch, damit ich es ansehen konnte, während ich ins Internet ging. Als das Morgenlicht mein Studio erhellte, hatte ich mir bereits einen Flug nach Paris gebucht. Als ich vom Computerbildschirm aufsah, fiel mein Blick auf die Mineralwasserflasche, die ich von Governors Island mitgebracht hatte und die nun die letzten Überreste Melusines enthielt. Sie funkelte im Licht, als ob sie wusste, dass es für sie nun bald nach Hause gehen würde. Dann sah ich wieder das Bild an. Im Sonnenlicht schimmerte es wie ein Opal, und jeder Regentropfen glitzerte, als ob die Sonne meines Studios tatsächlich auf einen regennassen Park fiel. Ebenso wie die Vision, die ich zuvor gehabt hatte, war auch diese Illusion nur von kurzer Dauer. Doch war der Moment lang genug gewesen, dass ich wusste: Sobald ich einen Fuß in jenen Park setzte, war ich auf dem Weg, Will Hughes und das Sommerland zu finden.
Deutsche Erstausgabe 08/2010
Redaktion: Sabine Thiele
Copyright © 2010 by Carol Goodman and Lee Slonimsky Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by
eISBN : 978-3-641-03930-1
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