Black Swan - Silberner Fluch
mein Glas. »Die Bilder sind fantastisch, Zach. Es tut mir beinahe leid, sie alle wegzugeben.« Das meinte ich wirklich so, obwohl ich natürlich wusste, dass unsere Verkaufsprovision entscheidend dazu beitragen würde, unsere Schulden zu bezahlen und uns langfristig auf den Weg zu finanzieller Stabilität zu bringen. Zach hatte uns eine sehr großzügige Provision zuerkannt, und die Preise waren enorm in die Höhe geschnellt.
»Es gibt weitere gute Nachrichten«, erklärte mein Vater und wechselte einen Blick mit Zach. »Ich habe gerade mit Pierre Benoit bei Sotheby’s gesprochen. Die Pissarros haben sich für das Doppelte des angestrebten Betrags verkauft.«
»Wirklich?«, freute ich mich. »Das ist ja großartig! Wer hat sie erworben?«
»Ein anonymer Bieter«, sagte Roman. »So viel dazu, dass Schneebilder während einer Rezession nicht gehen!«
Ich dachte an Pissarros Schnee in seiner helllila und bläulichen Färbung und musste daran denken, wie sehr ich mich am Abend des Einbruchs danach gesehnt hatte, in die Bilder mit ihren verschneiten Feldern hineinschlüpfen zu können. Wie gern hätte ich diese Werke noch einmal gesehen, aber ich hob mein Glas und sagte: »Dann auf den anonymen Bieter, wer er oder sie auch sein mag!«
Wir stießen an, und das alte Kristall klang hell wie eine Kirchenglocke. Dann fuhr mein Vater fort: »Da ist noch eine seltsame Sache. Der besagte anonyme Bieter hat
darauf bestanden, uns zusammen mit dem Geld ein Geschenk zukommen zu lassen. Dieses Paket wurde heute Morgen geliefert. Ich war so mit den Vorbereitungen für die Vernissage beschäftigt, dass ich noch gar nicht dazu gekommen bin, es aufzumachen.« Er deutete auf eine gezimmerte Transportkiste, die neben der Tür des Safes auf dem Boden stand.
»Das ist wirklich komisch«, wunderte auch ich mich. »Dann muss es doch schon vor der Auktion abgeschickt worden sein. Der Bieter war sich offenbar ziemlich sicher, dass er die Bilder bekommen würde. Und wieso schickt uns ein Käufer überhaupt Geschenke? So etwas habe ich noch nie gehört.«
Roman zuckte die Achseln. »Ich auch nicht. Aber warum machen wir es nicht einmal auf?«
Zach holte einen Schraubenzieher aus der Schublade mit dem Werkzeug und machte sich daran, die hölzerne Verpackung aufzuhebeln. Währenddessen sah ich nach, ob ich an der Kiste einen Hinweis auf eine Adresse oder einen Versandaufkleber finden konnte, aber da war nichts. Es war jedoch offensichtlich, dass es sich bei dem Geschenk um ein kleines Gemälde handelte, das professionell verpackt worden war.
»Vielleicht ist es noch ein Pissarro, den wir für ihn veräußern sollen?«, überlegte ich laut, während Zach die letzte Verpackungsschicht von dem Bild entfernte. Der vergoldete Rahmen stammte vermutlich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, aber die Vorderseite der Leinwand konnte ich nicht sehen, sie war Zach zugewandt.
»Das ist kein Pissarro«, erklärte Zach. »Vielleicht ein Vuillard? Es ist nicht signiert. Aber es handelt sich ganz
eindeutig um ein Pariser Motiv. Ich bin mir sicher, dass ich diesen Ort schon einmal gesehen habe.«
Er drehte das Bild um und platzierte es auf einen Küchenstuhl, ebenso, wie er damals im Dezember zusammen mit meinem Vater die Pissarros aufgestellt hatte. Wie in jener Nacht fühlte ich auch jetzt, als ob das Bild ein Fenster öffnete, durch das man an einen anderen Ort gelangen konnte, doch dieses Mal war es ein verregneter Park in Paris, in blauen und violetten Schatten gemalt. Laternen beleuchteten schimmernd die marmornen Statuen und die Blätter der Bäume. Eine kleine romanische Kirche ragte im Hintergrund des Parks dunkel im Nebel auf.
»Wie hübsch«, sagte ich und betrachtete das Bild genauer. »Eine alte Kirche in Paris.« Als ich diese Worte sprach, regte sich etwas in meiner Erinnerung.
»Die älteste Kirche in Paris«, verbesserte mich mein Vater mit entrücktem Blick, während er das Bild ansah. »Das ist die Kirche von Saint-Julien-le-Pauvre. Deine Mutter und ich haben nach dem Krieg eine Weile in einer kleinen Wohnung in Saint Germain gewohnt, die ihr eine ihrer alten Freundinnen – Marie Du-Wasweißich – überlassen hatte. Wenn ich von meinem Bummel durch die Galerien zurückkam, dann saß deine Mutter meist in dieser Kirche, und anschließend gingen wir in dem Café auf der anderen Straßenseite essen. Nach dem Krieg war Saint-Germain-des-Prés das angesagte Viertel in der Stadt, wo Jazzkonzerte stattfanden oder Sartre und de Beauvoir
Weitere Kostenlose Bücher