Blackhearts: Roman (German Edition)
Frau streckt die Hand aus. Will das Geld an sich nehmen.
Sie stößt das Scotchfläschchen um.
Whisky läuft zwischen die Holzbretter der Tischplatte.
Ihre Finger berühren den Stapel Bares.
Miriam packt sie am Arm, schiebt schnell den Ärmel hoch, um die Haut freizulegen.
Finger klammern sich um den Arm, Haut berührt Haut –
Katey Wiznewski sieht genauso aus wie jetzt, mit den breiten Schultern und dem mütterlichen Mondgesicht. Aber sie steckt in einem himbeerfarbenen Bademantel, der so flauschig ist, dass er aussieht, als hätte sie irgendein Fabeltier getötet und trüge jetzt dessen Pelz, um es warm zu haben. Sie sitzt auf dem Rand eines kleinen Sofas, und der Krebs ist überall in ihrem Körper. Er durchläuft sie wie die Wurzeln eines Baumes, die sich durch dunkles Erdreich erstrecken, und diese Wurzeln trinken und trinken und trinken. Sie kommen von einem knorrigen Tumor, der sich eng an ihre Bauchspeicheldrüse schmiegt. In ihrer Hand ist ein großes, dünnes Glas Eistee mit einem krummen Zitronenstück, das auf dem Rand steckt, und sie steht auf, um das Glas einem großen Mann mit Hängebacken und einem warmen Lächeln zu reichen. Sie sagt zu ihm: »Er ist nicht süß genug, Steve. Nichts ist wirklich noch süß genug. Bitte nimm …« Aber dann ist plötzlich der elektrische Strom, der durch sie fließt und sie in Gang hält, der uns alle in Gang h ält, weg – bzzt, abgeschaltet, Stecker gezogen, nur noch Dunkelheit. Und das Glas fällt hin und zerschellt an einem Couchtisch –
– und Miss Wiz stößt sie weg, Miriam stürzt nach hinten und schlägt mit dem Kopf dumpf auf der Erde auf.
Die meisten der verlorenen Zwanziger verfangen sich im Gras. Ein paar Scheine werden von einer schnellen Brise erfasst und purzeln auf den Fluss zu. Dann sind sie fort.
Mit einem Stöhnen setzt Miriam sich auf. Fängt an, das Geld einzusammeln.
Katey steht einfach nur da. Sie ringt die Hände. Ihre Augen sind nass.
»Es … es tut mir leid«, sagt die Lehrerin.
Ohne aufzustehen langt Miriam rüber und grunzt, während sie sich die hingefallene Flasche Scotch schnappt. »Das nenn’ ich mal Alkoholmissbrauch«, sagt sie nachdenklich, dann dreht sie die Flasche um und lässt sich die letzten paar Tropfen auf die Zunge fallen.
»Was haben Sie gesehen?«, fragt die Frau.
»Wollen Sie es wirklich wissen?«
»Ja. Ich will es wissen. Ich muss es wissen.«
Und dann erzählt Miriam es ihr – aber was sie erzählt, ist eine Lüge. Sie sagt Katey nicht, dass sie Bauchspeicheldrüsenkrebs hat. Sagt nicht, dass der Krebs da ist, in diesem Moment, und dass sie fast auf den Tag genau noch neun Monate zu leben hat . Das wäre die Wahrheit.
Stattdessen sagt sie: »Herzanfall in zwanzig Jahren. Sie essen gerade ein Eiweißomelett in Ihrer Essecke, Ihr Herz krampft und das war’s.« Ein Detail behält sie bei. »Sie lassen ein Glas Eistee fallen. Mit Zitrone. Das Glas zerbricht.«
Katey macht ein trauriges Gesicht. Mit hängenden Schultern stößt sie einen langen Atemzug aus, und die Enttäuschung senkt sich auf ihren Rücken wie das Joch eines Pfluges.
»Na ja. Ich danke Ihnen.« Ihre Stimme: ruhig, nasal, die Worte knapp wie mit einer Rasierklinge abgeschnitten. »Ich … noch mal Entschuldigung, dass ich Sie gestoßen habe. Das sieht mir eigentlich nicht ähnlich. Das sieht mir ganz und gar nicht ähnlich.«
Und dann geht die Lehrerin fort. Auf die Schule zu. Mit gesenktem Kopf.
DREIZEHN
Lügen, verfluchte Lügen und Krebsdiagnosen
Die Lüge. Sie hängt über Miriam wie ein Fallbeil über ihrem Kopf. Störend wie ein Schamhaar in einem Glas Rumpunsch. Ein Rätsel. Ein geschärftes Fragezeichen wie eine Sichel, die bereit ist, ihr die Kehle aufzuschlitzen.
Miriam kapiert es nicht. Es ergibt keinen Sinn. Warum hat sie gelogen?
Sie steht dort und schaut auf den Fluss hinaus. Schmeißt Brezeln in sein schlammig schäumendes Milchwasser. Grübelt darüber nach, dass sie gelogen hat und versucht, die Motivation dahinter aufzudecken.
Ein Teil von ihr denkt, sie tue dieser Frau einen Gefallen. Katey bleibt weniger als ein Jahr. Bauchspeicheldrüsenkrebs – Miriam, die Krähe auf des Todes Schulter, hat das schon öfter gesehen. Es ist wie ein Ölfeuer. Wenn es einmal angefangen hat, verlischt es nicht mehr. Breitet sich rasend schnell aus. Sie könnte der Frau von ihrer Diagnose erzählen, und dann – was? Bloß eine Reihe kräftezehrender Therapien, jede schlimmer als die davor. Alle zwecklos.
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