Blackhearts: Roman (German Edition)
in seinem Strahl Staubkörner und Fäulnisflocken ein. Der Lichtstrahl zeigt auf das Gesicht von Lauren Martin, achtzehn Jahre alt, die auf einem alten Doktortisch festgeschnallt ist. Die Lederpolsterung unter ihr ist rissig und schneidet ihr in den nackten Rücken, die Oberschenkel, die Pobacken. Gerüche vermischen sich: Schweiß, Urin,Metall, und über alldem wie ein roter Faden ein scharfer chemischer Gestank.
Lauren ist mit Stacheldraht geknebelt, der komplett um ihren Kopf gewickelt ist, von vorn bis hinten – die rostigen Widerhaken drücken sich in die Mundwinkel des Mädchens.
Der Draht fesselt ihren Kopf an den Tisch.
Ihre Zunge und Lippen sind ausgetrocknet. Sie liegt schon eine Zeitlang hier.
Die Wände um sie herum sind geschwärzt und verkohlt. Die Tapete wirft Blasen wie Haut. Stellenweise hängt die Decke herab. Drähte und Isolationskabel baumeln daran, gefangen in schlaffen Bündeln zerstörten Dämmmaterials; Bündel, die wie graue Wolken aussehen, die von heftigen Regenfällen heruntergezogen wurden.
Motten tanzen. Grillen zirpen.
Ein Mann tritt aus dem Schatten. Er singt ein Lied.
»Hört mir zu, ihr jungen Leut’
Von Pollys Los erzähl ich heut’
So jung war sie, so schön, so hold
Doch bald der Tod sie holen sollt’.«
Das Lied ist volkstümlich, alt, rhythmisch. Seine Stimme ist rau, doch dann wieder tiriliert und trällert sie von tief nach hoch, so angenehm als würde man die Zinken einer Gabel über ein Stück Schiefer ziehen. Manchmal ist es die Stimme eines Mannes, dann wieder die einer Frau.
»Ging spielen, tanzen, toben, tollen
Hat nicht auf Freunde hören wollen:
›Für Gott ist noch im Alter Zeit
Dann ist die Seel’ für ihn bereit.‹«
Lauren wimmert hinter dem Knebel. Schorf in den Mundwinkeln bricht auf, und frisches Blut fließt über trockenes. Ihre Handflächen sind mit einem X markiert. Flache Schnitte, aber Schnitte nichtsdestoweniger. Ihre Fußsohlen tragen die gleichen Markierungen.
»Am Freitagmorgen ward Polly krank
Dem störrischen Herzen half kein Trank
Sie rief: ›O weh! Die Zeit, sie flieht
Und Reue kommt jetzt viel zu spät!‹«
Ein neuer, beißender Geruch erfüllt die Luft. Rauch. Es riecht stark nach trockenen Blumen, Beerdigungsblumen, Rosen, Lavendel und Nelken, eine ölige Bitterorangentinktur.
»Sie rief ihre Mutter ans Krankenlager
Die Augen rollten im Kopf so hager
Einen gräulichen Anblick nahm sie an
Und rief: ›Das ist mein Tod!‹ sodann.«
Das Gesicht des Mannes ist das eines Vogels, eines federlosen Tiers mit Fleisch aus Leder und einem Schnabel so lang wie ein Kinderarm. Dichte Rauchfahnen treiben aus Löchern im Schnabel nach oben. Hinter hauchdünnen Skibrillengläsern, die ans lederne Fleisch geschraubt sind, blinzeln Menschenaugen. Dies ist nicht sein Kopf, sondern eine Kapuze; eine Kapuze, die ihn bis zu den Schultern bedeckt und auf seiner nackten, bleichen Brust endet. Quer über dieser Brust ist eine Tätowierung zu sehen, blau wie eine Vene, dunkel wie eine Quetschung: die sichelförmigen Flügel einer Rauchschwalbe, deren Schwanzenden spitz wie eine Grillgabel zulaufen.
Er langt in die dunkle Ecke des Raums, vorbei an einerversengten Matratze. Aus dem Schatten zieht er eine Feuerwehraxt.
»Sie rief ihren Vater ans Krankenlager
Die Augen rollten im Kopf so hager
›O irdischer Vater, gehabe dich wohl
Die sünd’ge Tochter schreit im Höllenpfuhl.‹«
Lauren sträubt sich gegen die Fesseln, als sie die Axt sieht. Sie scheuert mit dem Kopf hin und her und versucht zu entkommen, versucht, irgendeinen Teil von sich zu befreien – ihr Schrei klingt dumpf und qualvoll, als der Stacheldraht in ihre Wangen sägt.
Blut in ihrem Rachen, an dem sie fast erstickt.
Der Mann in der Schnabelkapuze beugt sich vor, liebkost das Gesicht des Mädchens. Seine Finger kommen nass und rot zurück. Er tritt zurück und hält die Axt vor seine Tätowierung.
»Rat hab’ ich von allen missachtet
Nach Lust man in der Hölle nicht trachtet
Und bin ich bald tot, so denke daran,
Die sünd’ge Polly weint jetzt bei Satan.«
Der Mann schließt die Augen. Verzückt. Ekstatisch. Die Axt hebt sich, und plötzlich umschwirrt ein Insektenpaar die Klinge: Motten, wie winzige Satelliten im Orbit.
Während der Mann weitersingt, windet sich das Mädchen, schreit und weint.
»Sie rang die Hände und stöhnte und schrie
biss auf die Zunge, bevor sie verschied.
Schwarz wurden Nägel, die Stimme versagte,
Sie sterbend aus diesem
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