Blackhearts: Roman (German Edition)
lange, einspurige Straße. Auf halber Strecke wird sie zu Schotter.
Miriam steht an ihrer Einmündung. Als sie die Straße entlang schaut, sieht sie eine lange Asphaltzunge, zersetzt von Löchern und mit Laub bedeckt. Bäume beugen sich dicht über sie, als wollten sie die Straße ersticken, sie in Stücke reißen, von dieser Welt wegradieren. Von hier aus kann Miriam keine Häuser sehen – es war noch nie eine Straße, wo viele Leute wohnten –, aber sie wird sie noch früh genug sehen: alte Bauernhäuser wie harte weiße Zähne, Fenster wie Augen, alles bereit, sie zu verschlingen und wieder auszuspucken.
Der Regen ist stärker geworden – kein Vorhang aus Sprühregen mehr, er ist ein Level aufgestiegen zu einem richtigen Regen. Wäre nicht das erste Mal, dass sie wie ein durchnässter Hund aussieht.
Beim Gehen hört sie Schritte auf der einen Seite oder der andern.
Normalerweise sind da nur Blätter. Blätter, die fallen, im Wind über den Boden scharren, ehe sie schließlich vom Regen auf der Straße festgenagelt werden.
Ein anderes Mal ist es nur ein Eichhörnchen: Ein grauer Fellblitz über freie Fläche und einen Baum hinauf. Es schüttelt seinen Schwanz nach ihr, als wollte es ihr drohen oder andere Eichhörnchen vor ihr warnen.
Dann schaut sie hin, und da geht er. Die Hände in die Taschen gesteckt.
Ben Hodges. Der Hinterkopf aufgeplatzt, ein roter, gummiartiger Krater. Der Schädel wie eine kaputte Müslischale.
»Diesmal keine Vögel, die an deinem Gehirn picken«, sagt sie über den plätschernden Regen hinweg. Eine kleine Trotzhandlung.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagt er, doch dann lächelt er. Und es ist Bens Lächeln durch und durch. Es ist wie ein Pfeil durch ihre Brust, dessen Schaft am Brustbein abgebrochen ist, sodass die Spitze für immer drin bleibt. »Ach, schau doch nicht so traurig! Es ist nicht deine Schuld,dass ich mich umgebracht habe. Nicht nur deine Schuld jedenfalls.«
Miriams Kiefer mahlen. »Tu verdammt noch mal nicht so, als ob du wirklich er wärst! Du bist es nicht!«
Noch ein Lächeln. »Nein, ich schätze, das bin ich nicht.«
»Also. Was jetzt? Weshalb bist du hier an diesem absolut entzückenden noch-nicht-herbstlichen Tag?« Wie als Antwort auf das, was sie sagt, grollt ferner Donner am Himmel – wie das Geräusch eines Sattelschleppers, der über eine Bodenwelle in der Autobahn brettert. »Bist du hier, um mir wieder in den Arsch zu treten? Einen Couchtisch kaputt zu machen? Mir noch einen Vogel in die andere Hand zu ritzen?«
»Nö, ich dachte mir nur, du siehst einsam aus. Du bist jetzt so nah dran. Aber diese Nach-Hause-gehen-Sache, das ist doch nur eine Ablenkung. Wieso machst du dir die Mühe?«
»Fick dich! Ich will eben.«
»Tatsächlich?«
Sie antwortet nicht. Sie weiß es nicht.
»Weißt du, du könntest mir ja einfach sagen, was ich machen soll.« Sie eilt vor ihn, geht rückwärts, während er vorwärts geht. Sie streckt ihm eine offene Handfläche hin. »Gib mir einfach einen Namen in die Hand. Auf einem Zettel. Gib mir die Adresse, denn du bist doch Mister Alleswisser. Gib mir einen Hinweis, wo der Killer ist, und ich gehe hin und rede mal ein ernstes Wort mit ihm.«
»Reden wird nichts nützen. Und ich habe keinen Stift. Oder Papier.«
Er lächelt. Jetzt sieht sie die Würmer, die sich zwischen seinen Zähnen winden.
In ihrem Kopf: die Schreie eines wimmernden Säuglings.
Noch ein Pfeil in ihrem Herzen.
»Dann manifestiere einen!«, faucht sie. »Du bist sowiesonicht real. Greif in dein klebriges Hirn und zieh einen raus! Oder lass dir einen von einem Vogel bringen!«
»Das funktioniert so nicht. Ich weiß außerdem nicht mehr als du.«
»Du lügst!«
Er zuckt die Schultern. »Tue ich das?«
Scheiß drauf. Sie versucht, auf ihn einzuschlagen – aber ihre Faust trifft nur leere Luft. Sie hört das Rauschen und Schlagen von Flügeln, als ob ein ganzer Vogelschwarm gerade aufgeflogen wäre – und das Geräusch wird immer lauter, bis es ein ohrenbetäubendes Brausen ist. Doch sie sieht keine Vögel, überhaupt keine. Sie wirbelt herum, schaut nach oben, schaut um sich, aber das Einzige hier sind der Regen und das Laub, und doch will dieses Geräusch nicht aufhören. Es klingelt ihr in den Ohren und –
Es hört auf. Fort. Das Geräusch verklingt nicht – es verschwindet, als wäre es gegen eine Wand geprallt.
Und als sie sich umdreht, sieht sie, wo sie ist.
Sie ist zu Hause.
Oh Mann, das Haus sieht echt
Weitere Kostenlose Bücher