Blackhearts: Roman (German Edition)
dem Kopf zu Musik hin und her, die sonst niemand hören kann.
Ihm gegenüber eine morbid fettleibige Hauskuh, diegrauen Haare unter eine Duschhaube gesteckt wie eine Tigerkatze, die in einer Plastiktüte gefangen ist, die auf ihrem Handy superlaut über ihr Valtrex-Rezept spricht.
Und dann Miriam.
Die hinten sitzt.
Vorhin, nach der Schulaktion, wartete sie an der Bushaltestelle und machte nichts anderes als telefonieren. Sie rief Tätowierstudios und -künstler in der gesamten Drei-County-Gegend an. Von Bloomsburg bis ganz runter nach Harrisburg.
Bei jedem Anruf dieselbe Frage: Haben Sie schon mal jemandem ein Schwalbentattoo gestochen?
Es stellte sich heraus: die Antwort lautet ja. Dutzende. Hunderte. Die Schwalbentätowierung? Ungemein beliebt! Total verbreitet. Sailor Jerry, sagten sie. Ed Hardy. Auf einmal ist es nicht mehr die Nadel im Heuhaufen, die sie sucht: Es ist eine Nadel in einem Korb voller Nadeln. Scheiße!
Miriam versuchte, das Tattoo genauer zu beschreiben.
Sie erzählte ihnen, es sei schlicht. Nichts Ausgefallenes. Größtenteils einfach der Umriss eines Vogels – wie eine Silhouette mit herausgeschnittenem Auge. Auf eine Männerbrust tätowiert. Nicht über die Titte irgendeines Mädchens. Nicht auf irgendeinen schwabbeligen Bizeps.
Nein, sagten sie. Nichts dergleichen.
Doch dann sprach sie mit Bryan. Einem Typ, der einen Laden namens Tintenaffe führt. Er sagte, er habe etwas in der Art gemacht. Echt einfach. Er wiederholte ihre Worte: Nichts Ausgefallenes.
Sie legte auf.
Dann stieg sie in den Bus.
Die Sache ist die: das Tätowierstudio des Typs ist in einem Ort namens Ash Creek.
Miriam kennt diesen Ort. Weil sie dort nämlich aufgewachsen ist. Oder vielmehr außerhalb davon – aber Ash Creek war ihre Postadresse.
Deshalb fängt alles an, ihr bekannt vorzukommen.
Der Bus fährt am alten Verkaufsstand einer Farm vorbei. The Honey Hole! Sie kennt diesen Stand. Sie ging früher manchmal dahin – sie nahm einen Dollar mit, warf ihn in das Kästchen und nahm sich ein paar Honigstangen.
Der Stand war früher einmal ziegelrot, rot wie eine frisch gestrichene Scheune. Jetzt steht er schief und verrottet da. Der Anstrich blättert ab, und die Farbe ist größtenteils verschwunden. Die Buchstaben auf dem Schild sind verblasst. Jetzt steht da nur noch: he Honey Ho .
Konzentrier dich wieder aufs Spiel, Black!
Innerlich ist sie angespannt, als wären ihre Organe zusammengeknotet und verschnürt worden. Ein brütender Ball aus Schlangen.
Jemand will sich neben sie setzen. Der Bus ist kaum angefahren, aber irgendwer kämpft schon um einen neuen Platz. Eine dürre Schlampe. Wahrscheinlich vierzig, sieht aber aus wie sechzig. Verrückte Katzenlady oder vielleicht eine Kunstlehrerin. Oder beides. Sie trägt große Ohrringe und ein Batikkleid.
Miriam lässt die Klinge ihres Springmessers herausspringen und fängt an, sich unter den Fingernägeln herumzustochern – achtet darauf, dass die Frau auch sieht, was sie da tut, ehe sie neben ihr Wurzeln schlägt. Miriam fügt hinzu: »Wenn ein Teil von Ihnen mich berührt, werde ich ihn abschneiden.«
Dürre Schlampe bleibt in der Schwebe, aber setzt sich nicht. Sie sucht das Weite und einen anderen freien Platz.
Draußen kommt inzwischen alles zusammen. Sie kennt diese Bäume. Diese Briefkästen. Alles ist jetzt vertraut.
»Nein, nein, nein«, sagt sie zu sich selbst. »Denk nicht mal drüber nach!«
Aber sie denkt darüber nach.
Denkt nicht nur darüber nach. Sie tut es.
In diesem Kampf zwischen Schicksal und freiem Willen weiß sie nicht genau, wer was macht oder auf wessen Seite sie eigentlich ist. Alles, was sie weiß, ist, dass sie aufsteht.
Nach oben langt.
Die Notbremse packt.
Und mit einem Ruck daran zieht.
Der Bus bremst. Alle taumeln nach vorn.
Tu das nicht, tu das nicht, tu das nicht!
Sie geht nach vorn. Der Busfahrer sieht sie an, als hätte sie ein drittes Auge, nur einen Arm, ein Paar Titten am Kinn: Freak, Mutantin, ein Störenfried.
Setz dich einfach wieder hin, du blöde Kuh.
»Ich muss aussteigen«, sagt sie.
»Was?«, fragt der Busfahrer, ein großer schwarzer Kerl mit Leberflecken auf dem geschorenen Kopf.
»Mach einfach die verdammte Tür auf!«, murmelt der Hipsterpenner mit dem Pisse-Nacho-Geruch.
Miriam blickt finster drein. »Sie haben den … was immer der Typ ist, gehört.«
Die Tür öffnet sich zischend.
Und Miriam tritt hinaus in den Regen.
DREIUNDDREISSIG
Dark Hollow
Dark Hollow Road.
Eine
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