Blackhearts: Roman (German Edition)
ihr, aber sie weicht zurück.
Sie will nicht sehen, wie er stirbt. Es wird ein erbärmlicher, bedeutungsloser Tod sein. Wahrscheinlich wird er eine brennende Zigarette auf seinem Schoß vergessen, während er in seinem Sessel liegt, und wie ein trockener Weihnachtsbaum in Flammen aufgehen. Vielleicht stößt er sich auch den Kopf an irgendwas und der Hund frisst sein Gesicht auf.
Miriam marschiert davon.
»Wieso bist du überhaupt hergekommen?«, ruft er ihr nach, während er barfuß auf den Stufen steht.
Sie macht sich nicht die Mühe, ihm zu antworten.
»Willst du nicht wenigstens die Nummer deiner Mutter haben? Oder die Adresse?«
Sie geht weiter.
Denn es wartet Arbeit auf sie.
FÜNFUNDDREISSIG
Tête-à-Tattoo
Sie geht zu Fuß zurück. Die Dark Hollow hinunter, zurück zur Hauptstraße. Der Regen dringt ihr bis auf die Knochen und noch darunter. Es ist noch eine halbe Stunde bis nach Ash Creek rein, das auch heute nicht viel mehr ist als ein Straßenquadrat mit einer Ampel an jeder der vier Kreuzungen. Sonst ist hier nicht viel los. Jede Menge Autos. Alle fahren durch, fahren vorbei, lassen den Ort im Rückspiegel zurück.
So wie sie selbst es getan hat, Jahre zuvor.
Manches sieht noch genauso aus. Der Wurst-und-Zwiebel-Laden ist noch da. Die Eisdiele daneben ist mit Brettern zugenagelt, die rosa Sperrholzeistüte hängt lose vom Schild, die Farbe abgeschabt vom unermüdlichen Zahn der Zeit. An der Ecke ist ein Fünfzehn-Cent-Warenhaus, und es heißt auch immer noch so: Benner’s Fünfzehn-Cent-Warenhaus . Nicht, dass man für fünfzehn Cent noch irgendeinen Scheiß kaufen könnte. Schon eine altersgraue Kaugummikugel aus dem Automat draußen kostet einen Vierteldollar.
Anderes hat sich allerdings verändert.
Pappy’s Tanke ist jetzt eine Exxon .
Der kleine Park in der Ortsmitte ist verschwunden. Er ist jetzt ein Block von kastenförmigen kleinen Eigentumswohnungen und Reihenhäusern.
Luberto’s Steinbackofen ist jetzt eine Rite-Aid-Drogerie.
Und wo das Pfefferstreuer-Café einst stand, sind jetzt die Tintenaffen-Studios.
Miriam muss schmunzeln. Ihre Mutter hätte sich bei dem Anblick in die Pluderhose gemacht. Ein Tätowierstudio? Meiner Treu! Da könnte man ja ebenso gut den Turm zu Babel errichten und Gott herausfordern, ihn wie ein riesiges verdammtes Jenga-Spiel umzuschmeißen. Ein Basar der Sünde und Verderbtheit. Schnappt euch eure Regenschirme und eure Ruderboote und ein paar Löwen, denn morgen kommt bestimmt die nächste Sintflut!
Sie kann immer noch nicht glauben, dass ihre Mutter in Florida ist. Florida . Das Land der Micky Maus. Des Alligators. Der Kubaner, alten Menschen und Kakerlaken, die so groß sind, dass man auf ihnen zur Arbeit reiten könnte.
Wie auch immer.
Sie betritt den Tattooladen. Ein reizendes kleines Glöckchen läutet.
Kling-e-ling .
Sie rechnet mit schmuddelig, schäbig, gewerblich, schwach beleuchtet, dem Geruch nach Zigaretten und Räucherstäbchen, vielleicht der Gestank von verschüttetem Bier. Irgendwas Hardcore-Artiges spielt auf einem CD -Player.
Aber es ist sauber und hell. Glänzender Laminatboden. Blitzblanke Vitrine mit T-Shirts und Autoaufklebern und Feuerzeugen, alles mit dem Studiologo drauf.
Igitt!
Hinter der Ladentheke sind Tätowierungsentwürfe ausgestellt: Zuckerschädel und Drachen und amerikanische Flaggen und vermeintlich mystischer asiatischer Mist.
In der Ecke hängt, angeschraubt an der Wand, ein kleiner Kastenfernseher, auf dem lokale Nachrichten laufen.
Eine Kundin beugt sich über den Tresen. Ein Mädchen mit Miriams Statur. Taubenblaue Jeans, aus der die rosa Bluse gerutscht ist und so stolz einen Tanga entblößt, der vom selben Pink ist wie die Strähnen in Miriams Haaren.
Sie schwatzt mit dem Kerl auf der andern Seite, einem jungen Burschen. Sein stacheliges Haar soll wohl so aussehen, als kümmere ihn seine Frisur nicht, aber vermutlich hat er zwei Stunden gebraucht, um es in Form zu bringen. Seine Ohrläppchen hängen tief herunter, eine Folge der zwei arschdicken Radmuttern darin.
Zwischen den beiden liegt ein offenes Buch. Tattooentwürfe.
»Ich weiß einfach noch nicht«, sagt das Mädchen. »Es ist meine erste Tätowierung. Ich will, dass sie etwas bedeutet. Ich will, dass sie etwas aussagt.«
Sie blättert die Seiten durch, während der Typ nickt, als wisse er genau, was sie meint.
Miriam verdreht die Augen.
Sie geht hin, stellt sich direkt neben das Mädchen und gibt ihr einen kleinen
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