Blackhearts: Roman (German Edition)
Ja! Das musste er sein!
»Was ist das noch mal für eine Schule?«, fragt sie.
»Die Fachoberschule.«
»Ja, aber der Name.«
»Sun-Tech«, antwortet der Junge.
Der Vater klinkt sich ein. »Die ist nicht hier in der Stadt, sie ist direkt außerhalb von New Berlin. Dafür müssen Sie zurück nach Süden über die Route 11, dann nehmen Sie die 15 nach Norden bis zur 34 nach Westen. Wenn Sie die Werbetafel fürs Krankenhaus sehen, sind Sie zu weit gefahren …«
»Wie lang ist die Fahrt?«
»Och, zwanzig Minuten oder so.«
Miriam fühlt in ihrer Tasche nach den Überresten ihres Bargelds. Sechs Dollar und ein bisschen Kleingeld. Genug für eine schnelle Mahlzeit hier im Blue Moon oder genug, um sich noch ein Taxi zu schnappen und zur Fachoberschule zu fahren, um zu sehen, ob sie – tja, was genau? Vielleicht versucht sie, ein paar Angestelltenakten zu finden. Eine Adresse rauszukriegen.
Doch der Hunger ist ziemlich irrational, und Miriam wird stinkig, wenn sie nichts isst. Andererseits hat sie keine Lust, die Zähne in ein Pastrami-Sandwich zu schlagen und bei jedem Bissen den Klageschrei eines sterbenden Mädchenszu hören. Sie kann jetzt schon in ihrem Kopf das Lied des Killers hören, das Fallen der Axt und das Geräusch der Klinge, die durch eine Zunge schneidet.
Bingo. Appetit weg. Entscheidung getroffen.
»Danke«, sagt sie und lässt den Buchhalter und seinen Sohn stehen.
ACHTUNDDREISSIG
Vergib uns unsere Schuld
Es dauert eine Stunde, bis das Taxi auftaucht. So ist es eben hier in der Gegend. Nicht wie in der Großstadt, wo man einfach nur die Hand raushält oder mit der Tasche auf ein vorüberfahrendes Taxi haut, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu erregen. Hier ruft man an. Dann wartet man. Und wartet noch ein bisschen länger.
Sie ruft vom Blue Moon aus an, riecht die Gerüche, die aus der Küche kommen. Grober Senf. Hühnersuppe. Frisch gebackenes Brot – Brot, diese hefige Belohnung, dieser kohlenhydratige Bauchfüller!
Das reicht, um die Bilder von Mördern und toten Mädchen aus ihrem Kopf zu verbannen.
Vorläufig.
Jemand lässt ein halb aufgegessenes Sandwich auf dem Tisch zurück. Es liegt auf einem Tablett, wurde nicht einmal angebissen, nur in zwei Hälften geschnitten und die andere Hälfte schön in Ruhe gelassen.
Sie erhascht einen Blick auf den Schinken. Was für ein Aufgeiler. Wie ein Mädchen, das ein Stück Oberschenkel aufblitzen lässt.
Sie pirscht sich heran, eine Jägerin, die ihre Beute belauert.
Da klingelt eine Glocke und die Tür geht auf. Der Taxifahrer fragt laut, sehr laut: »Hey, wer hat hier ein Taxi bestellt?«
Sie hält die Hand hoch und ruft: »Alles klar, einen Augenblick noch!« Aber als sie sich wieder umdreht, ist das freundliche unbeschwerte Mädchen von der Deli-Theke schon dabei, das Tablett in einen nahen Abfalleimer zu entleeren.
Miriam zieht in Erwägung, ihr den Kopf abzuhacken.
Zehn Minuten später sitzt sie im Fond des Taxis.
Regen prügelt auf die Windschutzscheibe ein.
Die Scheibenwischer hetzen hin und her, und weil der Fahrer das Radio nicht anstellt, ist das alles, was sie hört: das Klicken und Wischen und das schleifende Sirren von Reifen auf regennassen Straßen.
Miriam öffnet das Fenster und macht sich eine Zigarette an. Fragt gar nicht erst, ob das in Ordnung ist.
Sie pustet einen Rauchstrahl aus dem Fenster und wünscht plötzlich, Louis wäre hier. Und wenn es nur dazu wäre, um ihr zu sagen, dass sie nicht rauchen soll.
Und natürlich, um ihren Arsch durch die Gegend zu kutschieren.
Sie schnippt die Kippe raus – ein sich spiralförmig bewegender Punkt, ein Stück Glut im grauen Regen – und will gerade das Fenster wieder hochkurbeln, als sie etwas riecht.
Ein chemischer Gestank im Wind. Wie eine Superdosis billigen Shampoos, wie Garnier Fructis, nachdem es die Eingeweide eines toten Opossums ausgespült hat. Es brennt in den Augen, und Miriam kommt sich plötzlich überwältigt vor, als würde das Taxi auf sie eindringen, sie jeden Moment zerschmettern wie ein Insekt, das in einer Getränkedose vom Stiefel eines Menschen zerquetscht wird.
Sie kriegt keine Luft mehr. Ihr ist kalt.
Ihre Finger rollen sich einwärts, so dass die Nägel in ihre Handflächen schneiden.
Die Erkenntnis trifft sie wie ein Schlag: Ich kenne diesen Geruch!
Sie kennt ihn nicht aus eigener Erfahrung.
Sie kennt ihn aus der ersten Vision. Mit Wren als achtzehnjährigem Mädchen, dem der Kopf abgehackt wird.
Manchmal erlebt Miriam
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