Blackhearts: Roman (German Edition)
Vielleicht hat er vom armen Bryan im Tattoostudio was gesteckt bekommen. Wieso sollte der nicht die Polizei rufen? Sie hat ihm schließlich ein Messer an den Hals gehalten und in einem fort mit Keeners Namen um sich geworfen, als sei er das Ziel einer Vendetta. Als wollte sie ihn jagen und zur Strecke bringen.
Ist es denn nicht so?
Die Frage saust wie eine Flipperkugel in ihrem Kopf herum.
Keener geht aufs Haus zu, doch dann bleibt er auf halbem Wege stehen, späht um sich, den Kopf misstrauisch geneigt. Er dreht sich um. Marschiert plötzlich auf das Gerümpellabyrinth zu. Schritte klatschen auf schmierigem Schlamm.
Er kommt direkt auf sie zu.
Schnell krabbelt Miriam von ihrem Versteck weg und zu einem anderen hin – diesmal hinter einen Müllcontainer, der bis zum Rand mit Holzabfällen gefüllt ist.
Sie versucht, ihre Atmung zu beruhigen, hält die Luft an. Schnauf nicht wie ein Hund, du blöde Kuh, er wird dich hören! Keener hat nun ihr altes Versteck gefunden. Er ist dort.Sie kann ihn und seine Schritte hören. Kann ihn grunzen hören, Schlamm durch die Gegend treten. Plitsch platsch.
Da kommt er wieder.
Sie kann nicht in den Müllcontainer springen, weil der zu voll ist. Stattdessen drückt sie sich mit dem Rücken dagegen und arbeitet sich langsam um die Seite herum. Als Keener an der einen Seite erscheint, rutscht sie um die andere, wobei sie sich Mühe gibt, nicht das Metall zu berühren und ein Echo zu verursachen.
»Jemand hier draußen?«, ruft er. Seine Stimme ist wie zwei Asbestschindeln, die aneinander gerieben werden, wie Stein, der auf Stein mahlt. »Ist das deine Jacke hier?«
Geh weg, geh weg, geh einfach verdammt noch mal weg!
Er fängt an, um den Container herumzugehen. Auf sie zu.
Sie huscht schleunigst fort, findet einen verrosteten, einst weißen Caddy und taucht darunter ab. Dabei schiebt sich ihr T-Shirt hoch, ihr Bauch berührt Regenwasser und öligen Schlamm, die in den Bund ihrer Jeans sickern. Sie gräbt ihre Finger in die Erde, als wären es Anker, und zieht sich komplett unter das Wrack.
Sie schaut hinter sich und sieht Keener gerade noch in ihre Richtung blicken.
Als ob er etwas gesehen hätte.
Als ob er sich nicht sicher wäre.
Das Monster wischt sich Regen aus den Augen.
Und bewegt sich auf sie zu.
Rühr dich nicht! Gras, schwarz vor Schlamm, verbirgt ihr Gesicht, aber nur um sicherzugehen, drückt sie sich noch tiefer in den Morast.
Keener geht langsam. Als würde er darauf warten, dass sie aus ihrem Versteck hervorbricht; ein Reh, das aus dem Unterholz aufgescheucht wird, damit er einen Satz machen und es in Stücke reißen kann. Sein Gesicht wirkt animalisch. Als hungerte er nach einer Kostprobe von ihr.
Er erreicht das Auto.
Er ist jetzt direkt hier. Genau vor ihr.
Seine Arbeitsschuhe, Stahlkappen schmuddelig, sind nur Zentimeter von ihrem Kopf entfernt.
Schau nicht hier drunter!
Ihre Hand gleitet in ihre Tasche und zieht das Springmesser heraus. Ihr Daumen schwebt über dem Knopf.
Erstich ihn jetzt! , denkt sie. Stich ihn ab wie ein Schwein! Doch würde die Klinge den Stiefel durchdringen? Hat sie genug Kraft? Was, wenn sie abrutscht? Tu es, das ist deine Chance!
Aber dann grunzt er wieder –
Und beginnt sich zu entfernen.
Miriam lässt die Luft raus, die sie angehalten hat, während Keener wieder zurück aufs Haus zugeht und sich einen gewundenen Weg durch das Labyrinth aus Müll und Schrott bahnt.
Auf dem Bauch liegt sie eine Zeitlang da. Das Blut dröhnt ihr so heftig in den Ohren, dass sie fürchtet, ein Aneurysma zu bekommen.
Aber dann: ein neues Geräusch. Keine Schritte, kein Keener-Grunzen.
Es ist eine Stimme.
Eine Mädchenstimme.
Miriam kann nicht genau ausmachen, woher sie kommt, aber sie ist nicht weit entfernt.
Sie kriecht auf der Beifahrerseite unter dem Cadillac hervor und geht in Gargoyle-Stellung in die Hocke – nur für den Fall, dass Keener hinausschaut. Bleib tief unten , denkt sie.
Eine Weile lang horcht sie einfach nur, spitzt die Ohren. Versucht, andere Geräusche aus dem störenden Hintergrundrauschen des Regens herauszufiltern.
Dann hört sie es erneut.
»Ist da jemand?«
Eine Mädchenstimme. Ganz in der Nähe.
Miriam hastet vorwärts, die Hüfte gebeugt rennt sie, als hätte sie Skoliose. Sie presst sich mit dem Rücken flach gegen eine verwachsene Eiche – ein verdrehtes Lebewesen, das aus diesem künstlichen Ödland herauswächst.
Da! Wieder die Stimme: »Helfen Sie mir! Bitte!«
Schwach.
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