Blackhearts: Roman (German Edition)
Keener hat dort in einem der Lagerhäuser gearbeitet.«
»Gut.« Das muss genügen. Sie macht einen Schritt zurück. Nimmt das Messer nicht herunter, sorgt aber dafür, dass es nicht mehr an seinem Hals ist.
Die Messerspitze ist rot wie ein Streichholzkopf. Bryans Blut glitzert.
»Danke«, sagt sie. Ruhiger jetzt. Das trägt allerdings wenig dazu bei, ihn zu beruhigen. Er sieht immer noch so durcheinander aus wie ein frisch ausgepacktes Puzzle. »Es tut mir echt leid. Falls dir das etwas bedeutet.«
»Springst du immer so mit Leuten um, die dir helfen?«
Darauf kann sie keine Antwort geben.
Vielleicht will sie es auch nicht.
SIEBENUNDDREISSIG
Der Damm
Hi, ich suche nach Carl Keener. Er war ein Marinekumpel meines Vaters. Sie haben zusammen bei der NAVSUP gearbeitet, und Papa hat Carl gut und gern zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Jetzt hat Papa Prostatakrebs bekommen und sie sagen, es ist heilbar, aber nichtsdestoweniger versucht er … na ja, er würde es zwar nicht so formulieren, aber er versucht, sich wieder mit alten Freunden in Verbindung zu setzen. Nur für den Fall.
Das ist die Geschichte, die sie sich zurechtlegt.
Sie hatte ein Taxi nach Northumberland erwischt, und jetzt marschiert sie durch die Straßen der Stadtumlandeinöde – Doppelhäuser, Terrassenhäuser, Ranch-Stil-Bungalows und kleine grüne Rasen, alles zusammengestopft an den Gittermusterstraßen dieses Nirgendwos. Unaufhörlich pisst der Himmel Regen, und Miriam ist durchnässt, ebenso ihre Hoffnungen, dass dieser improvisierte Plan irgendwelche Früchte tragen wird.
Niemand kennt diesen Kerl.
Zumindest bis jetzt nicht. Der Ort ist verdammt viel größer als Ash Creek, so viel steht fest. Und inzwischen verkriecht sich der Tag im Nachmittag. Miriam weiß, dass mit jeder Stunde – zum Teufel, jeder Minute –, die verstreicht, Annie Valentine dem Tod ein Stück näher rückt. Oder vielleicht schon tot ist.
Miriam ist nass. Müde. Und sie hat den ganzen Tag noch nichts gegessen.
Hoffnungslos.
Es ist vergeudete Zeit.
Northumberland liegt dort, wo die beiden Arme des Susquehanna zusammenfließen, zehn Meilen nördlich derStelle, wo die Caldecott-Schule Wurzeln geschlagen hat. Es ist, als wäre die Stadt Northumberland ein alter Gott, der im Wasser steht, dort die Hände ausstreckt und das Wasser teilt. Auf der einen Seite fließt der Nordarm dahin und der Westarm auf der andern. Northumberland auf immer in der Mitte.
Wie ein Damm, eine Buhne, die die Wellen bricht.
Und so geht Miriam wieder zurück. Zurück dorthin, wo sie angefangen hatte. Sie hatte sich vom Taxi an einem kleinen Park namens Pineknotter (in dem, wie ihr auffiel, gar keine Pinien zu sehen waren) absetzen lassen. Von dort aus war sie nördlich unter einer Eisenbahnüberführung durchgegangen und irgendwann auf dem gelandet, was in der Gegend hier wohl als Hauptstraße gilt – die Water Street, die am Fluss entlangführt.
Dort geht sie nun wieder hin. Am Flussufer entlang, zurück dorthin, wo die Gebäude altviktorianisch sind. Wo sie ein paar Läden gesehen hat, wo man einen Happen essen kann. Denn wenn sie ihrem Körper nicht etwas Nahrung zuführt, dann wird sie selbst tot umfallen. Sie sieht einen Laden, das Blue Moon Deli.
Sie macht Anstalten reinzugehen und stößt mit jemandem zusammen, der gerade herauskommt – ein kugelrunder, nach Buchhalter aussehender Kerl mit kürbisförmigem Kopf und einer großen Brille wie ein Werklehrer. Sie will ihm schon den Kopf abreißen, aber ausnahmsweise beißt sie sich auf die Zunge. Sonst schneidet er sie noch heraus.
»Entschuldigung«, sagt sie und sprudelt mit ihrer Geschichte heraus – bla bla bla, Papa, Krebs, wieder in Verbindung setzen, bla bla bla –, just als der Sohn des Mannes herauskommt. Ein Teenager mit moppartigem Haarschopf in orangefarbener Weste und schlabberigen Cargoshorts.
»Nein«, sagt der Mann. »Tut mir leid, ich kenne keinen …«
»Keener, sagten Sie?«, fragt der Teenager.
Miriam sagt Ja, das habe sie gesagt.
»Ich weiß nicht, ob er der Richtige ist, aber ein Typ namens Keener arbeitet halbtags an der Fachoberschule. Der Hausmeister. Es ist ein älterer Kerl, irgendwie vielleicht ein bisschen …« Plötzlich hält er den Mund.
»Ein bisschen was?«
»Na ja, er ist irgendwie ein bisschen sonderbar. Sagt manchmal sonderbare Schei – sonderbares Zeugs. Und er starrt die Mädchen an.«
Gruseliger Hausmeister, der junge Mädchen anstarrt und Schüler belabert.
Ja. Ja.
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