Blackhearts: Roman (German Edition)
fällt Miriam schwer, sich diesen Jungen mit einer Angelrute fürs Fliegenfischen vorzustellen.
»Nein, ich weiß, Abendessen anschließend, sag Mama, ich werde da sein – hör zu, Papa, warte! Hör mir mal zu! Du weißt doch noch, wie du früher Tätowierungen für die Offiziere unten bei der NAVSUP gemacht hast?«
Pause.
»Ich muss wissen, ob du jemals irgendwelche Schwalben gestochen hast. Der Vogel. Ja, genau, der mit dem gegabelten Schwanz.«
Bryan hält das Telefon mit der gewölbten Hand zu, sagt zu Miriam: »Er hat mehrere gemacht.«
»Frag ihn, ob welche von den Typen … keine Ahnung. Dünn waren. Drahtig. Ooh, und frag ihn, ob ein paar davon ein bisschen … gaga in der Birne waren, du verstehst?«
Bryan übermittelt die Anfrage.
Pause.
Dann nickt er ihr leicht zu. »Ja. Er sagt, es gab da einen Burschen, von dem alle dachten, er hätte nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. Das ist aber wohl schon vierzig Jahre oder so her.«
Konnte das hinkommen? Sah der Killer so alt aus?
Möglicherweise. Die Dunkelheit in ihrer Vision, die Unbestimmtheit.
Und diese Maske …
Es wäre möglich, Miriam, schon möglich.
Außerdem ist es alles, was sie hat.
»Ich brauche einen Namen«, sagt sie. »Eine Adresse. Irgendetwas.«
Bryan spricht ins Telefon: »Bleib mal dran!« Dann zu ihr: »Wieso?«
»Was?«
»Wieso brauchst du das?«
Sie leckt sich die Lippen. Spürt, wie das Blut durch ihren Hals pulsiert. »Ich brauch es einfach!«
»Das reicht nicht.«
»Also gut. Die Wahrheit? Ich bin eine Hellseherin. Ich glaube, dieser Kerl ist da draußen, bringt Mädchen um und wird noch weitere umbringen – indem er ihnen den Kopf abhackt, bevor er ihnen die Zunge herausschneidet. Es sei denn, ich unternehme etwas dagegen. Da hast du sie! Die Wahrheitsbombe!« Sie ahmt mit den Händen eine Explosion nach, bläht die Backen auf. » Boooomm !«
Bryans Augen sind so groß wie die Scheinwerfer an einemSattelschlepper. Er sieht nicht verwundert aus, sondern entsetzt. Als hätte er gerade die Tür zu einer Gummizelle geöffnet und wäre von dem Wahnsinn darin überfallen worden, in einer wahren Orgie aus Fäkalien-Handabdrücken, Kreisch-Kauderwelsch-Gebrabbel und Fingernägeln-die-Wunden-in-bleiches-Fleisch-bohren.
Er sagt ins Telefon: »Ich unterhalte mich später mit dir, Papa.«
Und legt auf.
Ihr Herz tritt aus wie ein launisches Maultier.
»Wieso hast du das getan?«
»Du musst gehen«, sagt er. »Ich habe dir geholfen. Jetzt geh!«
»Ich bin nicht verrückt!«
»Meinetwegen.« Er hält die Hände hoch. »Geh. Bitte. Mach schon.«
»Ruf deinen verdammten Vater noch mal an! Ich muss den Namen haben. Ich muss!«
Er sagt das letzte Wort in dieser Angelegenheit: »Nein.«
Bevor sie überhaupt weiß, was sie da tut, hat sie ihr Messer in der Hand – der Daumen findet den Knopf und wie eine zustoßende Schlange springt die Klinge heraus. Sie presst die Spitze an seinen Adamsapfel. Ein Blutstropfen perlt an seiner Halsgrube herab und verschwindet in dem V-Ausschnitt seines T-Shirts.
Die ganze Zeit über berührt sie ihn nicht – nicht mit ihrer Haut. Sie will es nicht sehen, hat Angst, es zu sehen. Angst, dass sein Tod durch ihre Hand geschehen könnte, genau jetzt – ein Ausrutschen des Messers, das sich in seinen Hals senkt, ihm ein zweites Lächeln verschafft, ein menschliches Atemloch.
»Ich mag dich«, sagt sie durch zusammengebissene Zähne. »Aber mein Schicksal hängt an einem feinen Schamhaar, kapiert? Ich werde deine Luftröhre im Handumdrehen durchbohren, wenn du nicht deinen Vater wieder ans Telefon holst und mir ein paar Informationen beschaffst!«
Er nickt langsam. Die Augen nass vor Furcht.
Bryan nimmt das Telefon. Drückt auf Wahlwiederholung.
»Papa? Tut mir leid, ich bin’s noch mal.« Zitternde Stimme. Seine Augen beobachten ihren Arm so gebannt, dass sie fürchtet, er könnte ihr ein Loch in die Haut brennen. »Hatte eine … Kundin. Hast du irgendwelche Informationen über diesen – oh! Okay. P-prima. Ja … prima.«
Er flüstert Miriam zu: »Carl Keener. Er sagt, er hat die NAVSUP vor Jahren verlassen und ist irgendwohin hier in die Gegend gezogen. Northumberland, sagt er.«
» NAVSUP . Ich weiß nicht, was das ist.«
»Marineversorgung. Sie bearbeiten …« Er ist fix und fertig. »Ich weiß es nicht. Versorgung eben.« Er hält das Telefon wieder dichter ans Ohr. »Mein Vater sagt, Lebensmittelversorgung, Postdienste, Ordonnanzwaffen und Munition … Er sagt,
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