Blackhearts: Roman (German Edition)
unter ihr? Ein Gemüsekeller?
Sie dreht den Kopf in die andere Richtung, und da sieht sie das Mädchen.
Annie Valentine.
Annie sitzt zusammengekauert an einer nackten Stelle der Mauer, den Kopf auf den Knien. Der blasse nackte Körper zittert. Schmutzstreifen und Blutergüsse sind darauf.
Und Wunden. Manche frisch, andere nicht.
Ihre Haare, dreckig und glitschig vom Schweiß, hängen über ihre Beine herab wie die Fransen eines schmutzverkrusteten Mopps.
Miriam rollt sich auf die Seite. Ihr Kopf fühlt sich an, als ob man ihn auf die Größe eines Ballons aufgepumpt hätte ( eines roten Folienballons ), und das Klingeln in ihren Ohren schlägt in wilde Impulsspitzen aus.
Sie hält sich die Hände vor Augen und sieht zwei X-Symbole – geritzt in ihre Handteller.
Langsam, im Schneckentempo, setzt sie sich auf.
Sie betastet ihre bloßen Füße. Ein X in jedem Fuß. Das Blut trocken. Die Wunden angeschwollen.
Auch sie ist nackt. Keine Hose, das heißt auch: kein Telefon, kein Messer. Hinter ihr steht ein alter Wasserboiler auf Betonblöcken und noch dahinter ist ein weiterer, kleinerer Raum – eine Vorkammer, gefüllt anscheinend mit Überresten alter Kohle.
Ihr gegenüber führen wacklige Stufen nach oben, von denen die Bleifarbe abblättert wie Streifen lepröser Haut. Die Tür am oberen Ende ist geschlossen. Ein Lichtstrich umrahmt den Rand.
Diese Tür ist mit Sicherheit abgesperrt. Aber das heißt nicht, dass man nicht durchkommen kann.
»Hey«, sagt Miriam mit einer Stimme, von der nur ein ramponierter Rest übrig geblieben ist. »Valentine.«
Das Mädchen blickt auf, sagt aber nichts.
»Wo sind wir hier?«, fragt Miriam. »Sind wir in Keeners Haus? Wie lange bist du schon hier?«
Immer noch nichts.
»Weißt du irgendetwas?«
Annie Valentine ist wertlos. Sie ist komplett traumatisiert, ihr Verstand eine Kreidetafel, von der die Schrift abgewischt wurde.
»Wir sind zu zweit«, sagt Miriam. »Wir können gegen ihn kämpfen!«
Im Moment fühlt sie sich zwar, als könnte sie nicht mal ein sabberndes Baby abwehren, erst recht nicht einen Serienkiller mit einer Feuerwehraxt, aber diese Hoffnung ist alles, was sie haben.
»Wir beide können es zusammen hier rausschaffen. Okay? Sieh mich an! Bitte! Valentine, sieh mich an!«
Das Mädchen schaut in ihre Richtung, aber es ist, als würde sein Blick an den Rändern abrutschen und auf dem Eis gequälter Gedanken ausgleiten. Annies Starren ist tot, leer, wie Treibholz.
Miriam steht auf. Es geht langsam und erbärmlich vonstatten.
Als ihre Füße den Boden berühren, muss sie auf den Fußballen stehen, weil ihre verletzten Sohlen so wehtun.
Ein Schwindelanfall haut sie fast wieder um – der Schmerz tobt in ihrem Schädel.
Miriam macht eine Stichprobenkontrolle und tastet ihren Körper ab – keine gebrochenen Rippen, keine sonstigen Schnitte. Keine Wunden, wie Valentine sie hat, was Miriam zu denken gibt.
Sie fühlt untenrum, zwischen ihren Beinen. Kein Blut, kein Schmerz. Ihr ist schummrig, und im Augenblick fühltdie ganze Welt sich wie umgestülpt an, trotzdem nimmt sie das kurze Hochgefühl, das diese Erkenntnis verursacht, mit Freuden auf.
Bei ihrem Kopf sieht es hingegen anders aus: Die rosa und wasserstoffblonden Haare sind dank eines Überzugs aus getrocknetem Blut verfilzt bis auf die Schädeldecke. Diese Verletzung befindet sich genau auf der anderen Seite ihrer Kugelfurche (die inzwischen größtenteils verheilt ist, auch wenn die Haare immer noch nicht nachgewachsen sind).
Das passt ja.
Sie hofft, der Autopsie- MTA wird das besonders hervorheben.
Denk so was nicht.
Du wirst aus dieser Sache rauskommen!
Bewege dich. Suche. Finde.
Über ihrem Kopf ächzen und dröhnen die Dielen – Schritte. Keener ist da oben. Etwas Schweres – ein Möbelstück – wird mit schleifendem Stottern übers Holz gezogen.
Beeilung!
Sie humpelt in den alten Kohleraum. Keine Heizvorrichtung hier, aber sie kann die Betonplatte sehen, auf der sie einmal stand. Sie findet eine Kellertür mit zwei Flügeln, die alt aussieht, schwach, bloß eine Reihe von halb verfaulten Barackenbrettern, die zusammengebunden sind. Aber als sie versucht, sie aufzumachen, rühren sie sich nicht, und sie hört auf der andern Seite Metall klingen.
Miriam hinterlässt Fußabdrücke im Kohlenstaub, und der Ruß reibt sich in die Schnitte in ihren Fußsohlen. Falls Keener dich nicht umbringt, wird eine Infektion das erledigen.
Zurück in den anderen Raum. Sie schleicht
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