Blackhearts: Roman (German Edition)
Die Krähe. Der hungrige Geier.
Sie geht zur Tür.
Starrt hinaus. Der heftige Regen raunt, als wolle er sie hinauslocken.
Reinigend. Er erinnert sie an eine Taufe, wie eine vom Himmel gesungene Hymne.
Rechts von ihr, irgendwo hier im Haus, ist ein anderes Lied zu hören. Es liegt in der Luft, schrill und trillernd, dazu ein wimmernder Refrain: die unglücklichen Schreie der Annie Valentine.
Dazu erklingt das Lied der Spottdrossel. »Rat hab’ ich von allen missachtet, nach Lust man in der Hölle nicht trachtet …«
Miriam wendet sich von der Tür ab. Sie hat ihren Weg gewählt.
Sie schleicht tiefer ins Haus hinein. Ein Haus ohne jede Dekoration. Eine Tapete mit Wasserflecken. Verwahrlostes Mobiliar aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Es ist nicht schmutzig, wie sie erwartet hatte, sondern sauber. Kein Fernseher. Keine Bücher. Unberührt von jeglicher Zierde: eine schaurig sterile Umgebung. Als ob alles andere ein Affront wäre, eine Verfälschung, ein dreckiges Gift. Die Stimme ihrer Mutter erhebt sich, um sie zu begrüßen –
Du hast die ganze Zeit gelogen, um diesen Unrat vor mir zu verbergen. Das ist nicht Gottes Werk in diesem Karton! So habe ich dich nicht erzogen!
Das Zimmer hinter dem Wohnzimmer – das eine normale Familie vielleicht als Esszimmer genutzt hätte – erzählt eine andere Geschichte.
Mattes Licht. Abdeckplanen auf dem Boden.
Ein alter Doktortisch aus Holz.
Ein kleiner Kartentisch. Auf ihm sieht Miriam eine Reihe von Gegenständen. Manche erkennt sie nicht, andere schon: ihre Kleider, ihre Tasche, Kateys Handy.
Eine Rolle Stacheldraht liegt in der Ecke und darauf eine Drahtschere.
Annie Valentine ist festgeschnallt, der Draht um ihren Mund gewickelt.
Und da steht Carl Keener.
Das Gesicht von Miriam abgewandt, dem Mädchen zugewandt. Sein rechter Bizeps ist in dunklen, nassen Verbandsmull gehüllt, wo sie ihn mit dem Messer getroffen hat.
Er hält mit einer Hand die Axt. Mit der andern nimmt er ein Zippo-Feuerzeug vom Kartentisch, klappt es auf und entzümdet es. Er hebt es unter den Schnabel seiner Maske.
Miriam kann das knuspernde Knistern von Flammen hören, die tote Blumen verzehren.
Er atmet tief ein, dann aus – zwei ölige Rauchschwaden steigen auf wie der schwelende Atem eines siegreichen Drachen.
Er singt:
»Und bin ich bald tot, so denke daran, die sünd’ge Polly weint jetzt bei Satan.«
Er hebt die Axt.
»Sie rang die Hände …«
Miriam schleicht vorwärts, hebt ihre eigene Waffe, den Betonklotz, hoch über den Kopf. Es ist die Waffe einer Höhlenfrau, keine Finesse, nur Brutalität.
»Und stöhnte und schrie …«
Es wartet Arbeit auf dich.
»Und biss sich auf die Zunge, bevor sie …«
Miriam lässt den Betonklotz auf Keeners vermummten Hinterkopf krachen.
Er taumelt nach vorn, stützt sich mithilfe des Axtblatts auf dem Doktortisch ab und verhindert, dass er hinfällt.
Miriam hebt den Klotz wieder in die Höhe. Sie kommt sich langsam vor, als würde ihr ganzer Körper in Sirup stecken, ein Moskito, gefangen in abkühlendem Bernstein. Aber während sie langsam ist, ist Keener schnell, stößt das Endedes Axtgriffs in einem weiten Bogen nach hinten, trifft sie seitlich am Gesicht, reißt ihr die Wange auf. Sie schwankt.
Der Klotz entfällt ihrem Griff und sie torkelt gegen den Türrahmen.
Sterne –
Explodieren –
Dunkle Schatten wie Vögel vor grellem Licht –
Keeners Hand umschließt ihren Hals.
Sie riecht brennende Beerdigungsblumen. Ein Rosennebel. Nelkenschwaden. Kleine Glutstücke leuchten hell unter den ins Leder gestanzten Nasenlöchern.
Keener holt mit der Faust aus, knurrt.
Er schlägt sie ein Mal, auf den Mund. Ihr Kopf prallt gegen den Rahmen. Alles tut weh und alles schmeckt wie ein Mundvoll Kupfer.
Er holt noch einmal mit der Faust aus.
Da klingelt ein Telefon.
Kateys Telefon.
Das reicht aus – er wirft einen Blick in die Richtung, überrascht, irritiert, verwirrt. Der Griff um ihren Hals lockert sich.
Er atmet den Rauch dieser Blumen ein, weil er nicht von eurer Unreinheit angesteckt werden will.
Miriam greift nun selbst zu –
Packt seinen Schnabel.
Sie presst ihren gefühllosen, blutigen Mund auf die zwei Nasenlöcher der Pestarztmaske, atmet so tief ein, wie es ihr möglich ist, und bläst ihren Atem in die beiden Öffnungen.
Sauerstoff bringt die Glutstücke zum Brennen, und ein sengender Wirbel aus Asche schießt in die Maske. Miriam sieht orangefarbene Schlacke wie Glühwürmchen hinter dem
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