Blackhearts: Roman (German Edition)
Unbefugten?
Dann öffnet sich Annies Mund, und der Kopf eines Raben glänzend von Blut und Schleim gleitet zwischen ihren Lippen heraus und krächzt sie an. Das vorher war nicht der Unbefugte – das hier ist er.
»Zu-t-tritt für Unbe-befugte verb-b-boten!«, brabbelt Miriam. Sie lacht ein bisschen. Aber das Lachen schwindet dahin und wird zum Weinen. Die Tränen waschen Schmutz von ihren Wangen.
»Der Fluss steigt an«, sagt der Rabe.
»F-fick dich!«
»Es wartet Arbeit auf dich.«
»Habe ich ges-st-stottert? Ich sagte: fick dich!« Alles ist Spucke und Rotz und Tränen.
»Er atmet den Rauch dieser Blumen ein, weil er nicht von eurer Unreinheit angesteckt werden will.« Der Rabe wiegt den Kopf hin und her, als würde er einen fliehenden Wurm studieren. »Er glaubt, dass ihr nicht nur krank, sondern eine Krankheit seid, und er ist der Chirurg, der die Wunde der Welt von eurem Schmutz säubert.«
Miriam wischt sich übers Gesicht und zischt: »Das ist hilfreich. Und weil aller guten Dinge drei sind: Fick dich!«
»Der Fluss steigt an.«
»Fick. Dich.«
»Es wartet Arbeit auf dich.«
»Fi…« Aber bevor sie es herausbringt, sind Annie Valentine und der Rabe verschwunden.
Oben jedoch schreit die echte Annie.
Ein Schrei, der schnell erstickt und zu einem Gurgeln wird.
Schritte auf dem Fußboden über Miriam.
Ist sie jetzt tot?
Dann hört Miriam, wie er anfängt zu singen. Die Worte kann sie nicht ausmachen, aber sie erkennt diesen trostlosen Singsang. Das Lied der sünd’gen Polly?
Das Lied der Spottdrossel? Oder das der Schwalbe gestohlene Lied, damit sie nicht länger singen kann?
Steh auf.
Sie versucht sich zu bewegen. Ihr Körper kooperiert nicht. Ein Ellbogen rutscht unter ihr weg.
Steh auf!
Ihre Beine fühlen sich an wie Fleisch ohne Knochen, die Sehnen wie poröse Gummibänder. Sie kann sie nicht zum Gehorchen bringen. Sie bewegen sich zwar, aber nicht so, wie sie es will.
STEH AUF!
Miriam rollt sich herum. Hände unter sich, Knie auch. Aufstützen. Der Körper eine Brücke.
Sie sieht den Wasserboiler.
Er stützt sich auf, wie sie. Nicht auf Händen und Knien, sondern auf den flachen Betonblöcken.
Miriam kriecht zu ihm hin. Sie legt die Hände um einen der Blöcke und zieht.
Er rührt sich nicht.
Zieh, zieh, zieh –
Der poröse Beton reißt ihr die Hände auf, und sie fühlt frisches Blut aus den aufbrechenden Schnittwunden in ihren Handtellern. Es macht ihren Griff schmierig und das ist nicht hilfreich, ganz und gar nicht –
Du blöde Fotze, wenn du das Ding nicht rausziehen kannst, werden sie alle sterben!
Valentine.
Tavena.
Wren.
Du.
Und wie viele sonst noch?
Über ihr dauert das Lied an. Der Geruch nach aschigen Rosen klebt ihr in der Nase. Sie hört ihn wieder zurückgehen. Vermutlich mit der Axt.
Sie schlingt den Arm um den Block, zwängt ihn unter den Boiler. Sie weiß, dass ihr das den Arm brechen könnte, wenn sie ihn zu langsam wegzieht.
Sie schließt fest die Augen.
Merkt, dass sie betet. Nicht zu Gott, sondern zum Unbefugten.
Miriam gibt alles – legt ihre gesamte Energie in die Schulter und zieht mit aller Kraft. Der Betonblock löst sich, schrammt am Boden des Boilers entlang, der plötzlich wackelt und sich neigt –
Aber nicht auf den Boden fällt und kein weiteres Geräusch macht. Die anderen Blöcke stützen ihn noch.
Sie atmet erleichtert aus, weint fast. Wenigstens etwas ist nicht schiefgegangen!
Und jetzt hält Miriam den Betonklotz, wiegt ihn prüfend in den blutigen Händen.
Es ist Zeit, Carl Keener zu töten. Zeit, das Lied der Spottdrossel zum Verstummen zu bringen.
EINUNDVIERZIG
Geh fort von Sünd’, sonst wirst du verzweifeln, und in die Hölle fahr’n zu den Teufeln
Die Tür schwingt auf. Sie ist Gott sei Dank leise, als wollte sie Miriam einen Gefallen tun – einen Gefallen der Gegenstände, gewährt vom Parlament der Türen.
Ein absurder Gedanke, doch so kommt ihr das alles hier vor. Gekreuzte Drähte. Synaptische Fehlzündungen. Ihr Schädel pulsiert so heftig, dass es sich anfühlt, als wäre ihr Herz jetzt in ihrem Kopf.
Der graue Betonklotz, der inzwischen rot gestreift von ihrem Blut ist, liegt angenehm in ihrer Hand.
Vor ihr: die Haustür. Der Ausgang.
Sie könnte einfach gehen.
Geh und verlasse diesen Ort und komm an einem andern Tag wieder!
Oder lass es ganz bleiben. Es spielt keine Rolle.
Diese Mädchen spielen keine Rolle. Miriam ist eine selbstsüchtige Kreatur, zum Überleben bestimmt. Die Kakerlake.
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