Blackhearts: Roman (German Edition)
Glas tanzen, und Keener schlägt wild um sich, wirft dabei den Kartentisch um, brüllt im Innern der Lederkapuze, während er verzweifelt versucht, sie sich von den nackten Schultern zu ziehen –
Und als es ihm endlich gelingt, steht da Miriam.
Mit einer Drahtschere.
Sie stößt sie ihm in den Hals.
Noch einmal.
Und noch einmal.
Bis kein Hals mehr zum Zerstören da ist.
TEIL VIER
DAS ECHO DER SPOTTDROSSEL
Schlaf mein Kind, es wird Nacht überall
Mama kauft dir eine Nachtigall
Und wenn die Nachtigall nicht singt
Kauft Mama dir einen gold’nen Ring.
Ein Kinderlied
ZWEIUNDVIERZIG
Entgangener Anruf
Sag niemandem, dass ich hier war!
Louis, bitte … komm mich holen!
Du bist jetzt in Sicherheit – in Sicherheit.
Mach schnell!
Sag es niemandem.
Schnell!
Mitternacht im grellen Licht des Krankenhauses. Ein antiseptischer Gestank, der es so sauber riechen lässt, dass es irgendwie umso dreckiger wirkt.
Miriam befindet sich nicht in einem Krankenzimmer. Das ist nicht nötig. Alles, was sie braucht, ist hier in der Notaufnahme. Die Kabine ist nicht viel mehr als ein Wandschrank. Als der zuständige Arzt sie untersucht hat, hat er sich auf einen blauen Eimer für Medizinabfälle gesetzt, als wäre es ein Stuhl.
Man sagte ihr, dass sie eine Gehirnerschütterung hat. Keine Hirnblutung. Sie ist nur ordentlich vermöbelt worden. Einen Zahn haben sie auch gezogen, aber einen hinteren. Deshalb sieht sie jetzt nicht aus wie irgendeine Hinterwäldler-Kampflesbe.
Kein Bruch. Und zu ihrer Überraschung keine Nähte. Stattdessen etwas, was Dermabond heißt. Ein Hautkleber, hat der Arzt erklärt. Die Schnitte an Händen und Füßen und im Gesicht sind mit gelbbraunem Jod zugeschmiert. Das erinnert Miriam an ihre Kindheit: Sie hält einen Grashüpfer, und das Insekt speit einen bräunlichen Glibber aus. Irgendein Verteidigungsmechanismus.
»Wieder mal im Krankenhaus«, sagt Louis. Seine schwereHand reibt Kreise auf ihren Rücken, fühlt sich gut an, warm. »Das darfst du dir nicht zur Gewohnheit werden lassen.«
»Ich hasse solche Orte«, sagt sie mit rauer, kehliger Stimme, als hätte sie Glaswolle gegessen und mit Whisky runtergespült. »Das ist mein letztes Mal.« Aber sie fragt sich: Ist es das wirklich?
Er küsst sie auf den Kopf – dort wo keine Wunden sind. Sie kann nicht sagen, ob es brüderlich gemeint ist oder väterlich oder der sanfte Kuss eines Liebenden.
Und es interessiert sie einen Dreck. Es ist einfach schön.
»Dein Anruf hat mir das Leben gerettet«, sagt sie. »Dem Mädchen auch.«
»Was meinst du?«
Sie erzählt es ihm: Hätte Louis nicht angerufen, wäre Keener nicht abgelenkt worden. Dieser eine Moment war ausschlaggebend. Diese halbe Sekunde gab ihr die Oberhand.
Louis umschließt ihr Kinn mit der gewölbten Hand, zieht ihr Gesicht zu seinem hin.
»Geht es dir gut? Es war ein ziemliches … Chaos in dem Haus.«
Das war es. Die Wände mit ihrem Blut gesprenkelt. Annies Blut, das auf den Boden tropfte, purpurne Flecken auf blauer Plane. Und Keener …
Er steht hinter Louis. Groß und gemein. Er ist nicht real, Miriam weiß das. Aber er sieht aus wie in der Nacht in dem Haus: sein Hals eine Masse roter Himbeergötterspeise. Miriam erinnert sich nicht daran, wie oft sie mit dieser Drahtschere zugestoßen hat. Nicht oft genug, um ihm den Kopf abzutrennen. Aber viel kann nicht gefehlt haben.
Die Manifestation des Unbefugten legt den Kopf in den Nacken wie ein PEZ -Spender und spricht aus dem Loch in der zerstörten Speiseröhre.
»Schnapp sie dir, Killer!«, gurgelt es daraus hervor.
Miriam hört das Rauschen von Flügeln. Dann ist Keener verschwunden.
»Mir geht es gut«, sagt sie. Einst war die Redensart, die ihr immer in den Sinn kam wie eine verdammte stehengebliebene Schallplatte: Es ist, wie es ist . Mittlerweile allerdings glaubt sie es ist eher: Ich bin, wer ich bin .
Schnapp sie dir, Killer!
»Bist du dir sicher, dass du nicht mit der Polizei reden willst?«
Miriam hatte zuerst Louis angerufen und erst als er dort gewesen war die Polizei – aber anonym.
»Ganz sicher. Ich bin schon an zu vielen Tatorten gewesen. Irgendwann kommen sie noch auf den Gedanken, dass das ein bisschen verdächtig ist. Ich brauche keine Bullen, die herumschnüffeln und Ärger machen.« Besonders nicht, wenn es das betrifft, was ich bin und was ich tue . »Ich komme mir allerdings schlecht vor: dieses Mädchen dort einfach zurückzulassen.«
»Das ist schon in Ordnung. Die
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