Blackout (German Edition)
seinem zehnten Geburtstag an einem Empfang heimlich die Weingläser der Gäste leer getrunken und dann der Frau des englischen Botschafters unters Kleid geschaut hatte. Niemand hatte das amüsant gefunden. Danach musste er beim Kindermädchen bleiben.
Nick wurde sich plötzlich seines Aussehens bewusst. Er stand in einer kleinen Pfütze, seine schmutzigen Schuhe hatten deutliche Spuren auf dem Teppich hinterlassen. Ein jämmerlicher Kontrast zu seinem Vater. Er war vom perfekten Sohn zum unkontrollierbaren Flegel geworden. Was für eine Niederlage für seinen Vater. Alles war ihm gelungen, alles außer der Erziehung seines Sohns. Nick wusste, dass es ihn maßlos ärgerte, ausgerechnet bei seinem Sohn versagt zu haben.
Caduff ließ sich Zeit mit den Fotos. Schließlich legte er sie zurück auf den Schreibtisch.
»Woher haben Sie diese Bilder?«
»Der Umschlag lag heute Morgen auf meinem Schreibtisch. Ich habe keine Ahnung, wie er da hingekommen ist.«
»Warum haben Sie nicht sofort die Polizei benachrichtigt?«
Albert Bergamin zögerte keinen Moment. »Ich habe den Umschlag nicht gleich geöffnet. Da ich erst gestern Abend spät aus London zurückgekommen bin, gab es eine Menge zu erledigen. Als ich dann den Inhalt des Umschlags sah, wusste ich sofort, dass ich handeln musste. Aber bevor ich dazu kam, stand durch einen merkwürdigen Zufall mein Sohn bei mir im Büro.« Er betonte das Wort merkwürdig und blickte zu Nick hinüber.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte er, als nehme er Nick erst jetzt wahr.
Nick ignorierte die Frage. Mit schlurfenden Schritten ging er zum weißen Ledersofa beim Fenster und verlängerte dabei die Schmutzspur auf dem Teppich. Betont langsam setzte er sich hin.
»Ach, Nicolas. Immer noch der Alte.«
Das saß. Ja, immer noch der Alte. Immer noch derselbe Idiot. Nick stand auf und wollte den Raum verlassen.
»Bleib hier«, sagte Caduff ruhig. »Was hat Ihr Sohn von Ihnen gewollt?«, fragte er Bergamin.
»Er sagte, er habe Probleme. Das ist leider nichts Neues, nur hat er es diesmal definitiv zu weit getrieben.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat die Familie meiner Schwägerin in seine unsäglichen Spiele mit hineingezogen.«
»Was macht Sie da so sicher?«
»Kennen Sie seine Akte? Dann muss ich Ihnen nichts erklären.«
»Ich wäre froh, wenn Sie es trotzdem versuchten.«
Nick beobachtete, wie sein Vater einen goldenen Füller vom Schreibtisch nahm und ihn gedankenverloren in seinen Händen drehte.
»Nicolas … er war kein einfaches Kind. Er hat schon früh Grenzen überschritten. Je mehr meine Frau und ich versuchten, Regeln für ihn aufzustellen, desto weniger hielt er sich daran. Das führte zu unangenehmen Schulwechseln und harten Auseinandersetzungen. Er geriet mit dem Gesetz in Konflikt. Soweit es mir möglich war, habe ich ihm unterstützend zur Seite gestanden. Aber nach dem Unfall ging das einfach nicht mehr.« Er verstummte und rang nach Worten.
Caduff sprang für ihn ein. »Und dann haben Sie dafür gesorgt, dass er bei der Familie Ihrer Schwägerin unterkam.«
»Ja. Meine Frau und ich haben lange um diese Entscheidung gerungen. Leicht ist es uns nicht gefallen. Aber nach Gesprächen mit Vertretern des Jugendamtes waren wir uns sicher, dass dies der richtige Schritt war. Und jetzt das.« Er legte den Füller zurück auf den Schreibtisch. »Ich mache mir Vorwürfe. Mein Sohn hat offensichtlich etwas mit Carlas Verschwinden zu tun. Er lügt. Die Fotos sprechen eine deutliche Sprache.«
»Lassen Sie das meine Sorge sein.« Caduff warf Nick einen Blick zu, der nichts Gutes verhieß. »Und Sie sind sicher, dass Sie nicht wissen, von wem die Bilder sind?«, hakte er nach.
»Ganz sicher.«
»Ich werde die Fotos mitnehmen müssen.« Noch während er sprach, packte Caduff die Bilder in den Umschlag. »Ich möchte Sie bitten, die Angelegenheit vorläufig für sich zu behalten. Wir werden uns bei Ihnen melden.«
Nick verachtete Caduff für seine übertriebene Höflichkeit.
»Ich hätte nur noch eine Frage«, sagte Caduff.
»Ja?«
»Wie kommt es, dass Sie schon vom Verschwinden Ihrer Nichte wissen? Sie sind ja erst gestern Abend zurückgekommen.«
Bergamin strich seine Krawatte glatt. »Martin Egger hat mir eine Nachricht hinterlassen und ich habe mich gleich nach meiner Rückkehr mit ihm in Verbindung gesetzt. Kein leichtes Gespräch, das können Sie mir glauben.«
»Wir tun, was wir nur können, um Ihre Nichte zu finden«, versprach Caduff. Er wandte sich an
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