Blackout (German Edition)
»Du siehst, ich hab mich genau erkundigt, was da für einer zu uns zieht. Allerdings konnte oder wollte mir niemand sagen, was in Internat Nummer drei und vier vorgefallen ist.«
Sie sprach Dinge aus, über die alle anderen lieber schwiegen. Gut, wenn sie es so wollte!
»In Nummer drei habe ich mich mit einem Lehrer geprügelt und in Nummer vier habe ich mir mit dem Geld aus der Bürokasse ein schönes Wochenende gemacht.«
»Wenigstens scheinst du nicht besonders stolz darauf zu sein«, bemerkte sie.
Er zuckte mit den Schultern. »Bin ich auch nicht.«
»Warum hast du denn all den Mist gebaut?« Sie schaute ihn neugierig an.
»Lange Geschichte«, sagte er und wandte sich ab.
»Und du hast natürlich null Bock, darüber zu reden, oder?«
»Erfasst.«
»Okay. Wenn ich also kurz zusammenfassen darf: Dubist von keiner dieser Schulen wegen mangelnder schulischer Leistungen geflogen. Also besteht für mich eine Chance, diese blöden Wahrscheinlichkeitsrechnungen doch noch erklärt zu bekommen.«
»Fehlanzeige. Meine schulischen Leistungen, wie du das so schön nennst, waren grottenschlecht.«
Carla legte ihr Buch auf die Bettdecke. »Muss ziemlich krass gewesen sein.«
Wieder zuckte er mit den Schultern.
»Das ist ja auch eine Antwort.«
Er sah, dass sie sauer war, aber er wollte wirklich nicht über seine vermasselte Schulzeit reden. Sie stand auf und ging. Ihr Mathebuch hatte sie vergessen, es lag immer noch auf seinem Bett. Er griff danach und schlich damit bis zu ihrem Zimmer. Leise legte er das Buch vor ihre Tür und klopfte kurz an. Dann ging er rasch zurück in sein Zimmer. Ein paar Minuten später schob sie einen Zettel unter seiner Tür durch. Beweis mir, dass du es kannst.
16
» H ey.« Caduff stand über ihm. In seiner linken Hand hielt er einen großen gelben Regenschirm. »Was tust du hier?«
»Ich war’s! Ich hab’s getan.«
Caduff streckte den Arm aus. Nick ergriff seine Hand und ließ sich hochziehen. Wortlos standen sie da, während Caduff vergeblich versuchte, den Windböen zu trotzen und den Schirm über ihre Köpfe zu halten.
»Komm, wir gehen nach Hause«, sagte er.
»Geht nicht.« Nick war ganz ruhig. »Wir müssen zu meinem Vater. Er hat Hinweise. Und Beweise.«
Caduff sah ihn fragend an.
»Fotos«, erklärte Nick. »Er hat Fotos. Vielleicht helfen die euch weiter.«
»Das kann warten. Du siehst aus, als müsstest du dringend in trockene Kleider und eine warme Wohnung.«
Nick schüttelte den Kopf. Es gab keinen warmen Ort. Es gab nur die Wirklichkeit, und die war so kalt, wie er sich fühlte.
Die Frau am Empfang versuchte erfolglos, ihre Verärgerung hinter einem aufgesetzten Lächeln zu verbergen. Missmutig schaute sie auf die kleinen Pfützen, die sich um Caduff und Nick bildeten.
»Josef Caduff von der Kantonspolizei St. Gallen«, meldete sich Caduff an. Die Verärgerung im Gesicht der Frau wich schlecht versteckter Neugierde.
»Wir möchten zu Herrn Bergamin.«
»Er ist in seinem Büro.«
»Du gehst voran«, sagte Caduff zu Nick und folgte ihm die Treppe hoch. Vor dem Büro seines Vaters trat Nick zur Seite. Im Gegensatz zu ihm klopfte Caduff an. Er wartete sogar eine Antwort ab. Erst nach einem knappen »Herein« öffnete er die Tür des Büros.
»Herr Bergamin? Albert Bergamin?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Nicks Vater. Er schaute kurz zu Nick, der den Raum hinter Caduff betreten hatte.
»Josef Caduff von der Kantonspolizei St. Gallen«, stellte sich Caduff zum zweiten Mal vor.
»Das ging aber schnell«, meinte Bergamin mit einem Seitenblick auf Nick.
Caduff ignorierte die Bemerkung. »Ich höre, Sie haben Fotos. Kann ich mir die ansehen?«
Bergamin öffnete die unterste Schublade seines Schreibtisches und zog einen Umschlag heraus.
»Hier«, sagte er.
Eins nach dem anderen sah sich Caduff die Bilder an. Er tat dies sehr langsam und ohne etwas dazu zu sagen.
Nick konnte die Fotos nicht sehen, aber jedes Mal, wenn Caduff ein neues Bild betrachtete, fühlte er sich ein wenig kleiner. Er beobachtete seinen Vater, der es schaffte,einen passenden Gesichtsausdruck zwischen Besorgnis und Ärger aufzusetzen. Die richtige Reaktion im richtigen Moment. Alles an Albert Bergamin war perfekt. Immer. Das Auftreten, der teure Anzug, die Ruhe, die Gesten. Sicher und unerschütterlich ging dieser Mann durchs Leben.
Nick erinnerte sich, wie er als kleines Kind Teil dieser perfekten Welt gewesen war. Er hatte die Bilderbuchfamilie komplett gemacht, bis er kurz nach
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