BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
die Sicherungskette zurück und bat Hartlandt in einen finsteren Flur. Irgendwo hörte er ein Kind weinen.
»Mein Auto hat keinen Sprit mehr«, entgegnete Polejev. »Und fünfundzwanzig Kilometer zu Fuß zu gehen hat wenig Sinn.«
»Deshalb werden wir einen Abholdienst organisieren«, sagte Hartlandt. »Er wird Sie und einige Ihrer Kollegen am Morgen mitnehmen und abends wieder nach Hause bringen.«
»Wie stellen Sie sich das vor?« Er zog Hartlandt am Arm in ein düsteres Wohnzimmer. Eine Frau in Anorak und wattierter Skihose ging durch den Raum, ein Bündel auf dem Arm. Hartlandt erkannte ein Baby. Auf dem Sofa saßen zwei kleine Kinder, in dicke Jacken gepackt, Wollmützen auf den Köpfen, Decken um die Schultern, und spielten, soweit es die unförmigen Finger ihrer Handschuhe zuließen, mit Puppen.
»Soll meine Frau hier ganz allein bleiben?«
»Wir brauchen Sie unbedingt. Vielleicht können Sie mithelfen, diese Misere zu beenden.«
Er erzählte von der notwendigen Überprüfung der SCADA -Systeme und fragte dann: »Was hat denn das Kleine?«
»Kalt, Hunger, dasselbe wie wir alle.«
»Warum gehen Sie und Ihre Familie nicht in ein Notlager? Dort ist es warm, Sie bekommen Lebensmittel, es gibt Toiletten und sogar Duschen.«
»Toiletten«, seufzte Polejevs Frau. »Und Duschen!«
»Wie machen Sie das denn jetzt?«, wollte Hartlandt wissen.
Polejev deutete in den Garten. »Da draußen. Ich habe eine Grube gegraben.«
Hartlandt sah das Loch neben einer Hecke.
Polejev zeigte auf das mager bestückte Bücherregal. »Und das ist unser Klopapier, seit das richtige ausgegangen ist.«
»Sehr erfinderisch«, lobte Hartlandt. »Frau Polejev, wir brauchen Ihren Mann.« Er nannte auch ihr noch einmal den Grund.
»Dann gehe ich eben mit den Kindern in so ein Notquartier«, seufzte sie.
»Und währenddessen räumt man uns hier das Haus aus«, beklagte sich Polejev.
»Du kannst ja weiter hierbleiben«, sagte sie.
»Wer soll so etwas denn tun?«, argumentierte Hartlandt. »Außer den Behörden hat praktisch niemand mehr Treibstoff. Diebe kommen also gar nicht hierher. Und Ihren Nachbarn werden Sie so etwas wohl nicht zutrauen.«
»Sie kennen unsere Nachbarn nicht«, meinte Polejev und wackelte mit dem Kopf. »Zugegeben, die meisten sind anständige Menschen. Aber in so einem Lager hat man keine Privatsphäre.«
»Besser das als Kinder, die sich hier eine Lungenentzündung holen.«
»Er hat recht«, stimmte Frau Polejev ihm zu.
»Wo ist denn das nächste Quartier?«, fragte Polejev gereizt.
»In Ratingen gibt es drei. In der Schule, der Veranstaltungshalle und in der Sporthalle. In einem davon finden wir sicher noch Platz. Wir sorgen dafür, dass Ihre Familie hingebracht wird. Packen Sie die wichtigsten Sachen zusammen.«
Das Baby zeigte sich unbeeindruckt und plärrte weiter. Polejevs Frau sagte nur: »In Ordnung.«
Polejev zuckte mit den Schultern und sah Hartlandt hilflos an.
»Sie tun das Richtige«, versicherte ihm Hartlandt. »Ihre Familie ist gut aufgehoben, und Sie können wieder an Ihren Arbeitsplatz.«
Hartlandt kündigte ihm die erste Tour noch für den Nachmittag an. Dann nannte er ihm ein paar Namen von Kollegen: »Die sind zurzeit in Ferien«, fügte er hinzu. »Haben Sie sich zufällig mit einem darüber unterhalten, wohin er fährt?«
Polejev dachte kurz nach. »Müller wollte in die Schweiz zum Skifahren, wohin genau, weiß ich nicht. Dragenau hat was von Bali erzählt. Und Fazeri wollte zu Hause bleiben. Musste wohl im Haus einiges reparieren.«
Hartlandt bedankte sich. Vor allem Dragenau war wichtig, er war einer der fehlenden Chefentwickler. Den Bali-Urlaub hatte schon die Personalfrau bei Talaefer erwähnt. Ihn hätten sie besonders gern dabeigehabt. Aber wenn er tatsächlich auf Bali war, hatten sie da wohl wenig Chancen.
Als er wieder im Auto saß, machte er hinter die Zeile mit Polejevs Namen und Adresse einen Haken. Er gab die nächste Adresse in sein Navigationssystem ein und fuhr los.
Die Veranstaltungshalle war ein modernes, funktionales Gebäude, das große, weiße Buchstaben über dem Eingang als »Dumeklemmerhalle« vorstellten.
Davor standen Menschen in Gruppen beisammen und unterhielten sich oder rauchten. Hartlandt betrat die große Vorhalle. Wo sonst Tickets verkauft wurden, Menschen sich vor den Veranstaltungen verabredeten und mit Popcorn und Softdrinks eindeckten, befanden sich jetzt Leute in Winterkleidung, obwohl es wärmer war als draußen. Durch große, offene
Weitere Kostenlose Bücher