BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Publikum diente. Auch jetzt drangen die Geräusche durch die großen Türen von der Halle heraus auf den Flur.
Doreuil ging zum Eingangsbereich, wo Helfer den neu Hinzugekommenen Plätze zuwiesen, Lebensmittel und Decken verteilten, Fragen beantworteten. Ein Mann in Uniform, der vielleicht so alt war wie ihre Tochter, sortierte Konservendosen.
»Entschuldigen Sie«, sagte Doreuil.
Er unterbrach seine Arbeit, wandte sich ihr mit offener Miene zu.
»Wir kamen gestern aus der Nähe von Saint-Laurent«, fuhr sie fort, merkte, wie heiser ihre Stimme war, musste sich räuspern. »Wann werden wir denn auf Strahlung untersucht?«
Der Mann stemmte die Fäuste in die Hüften. »Machen Sie sich keine Sorgen, Madame«, entgegnete er.
»Aber müssen wir nicht untersucht werden?«
»Nein, Madame. Diese Evakuierung ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.«
»Nach dem Unglück in Japan 2011 haben sie im Fernsehen gezeigt, wie Menschen in den Notlagern mit so Geräten …«
»Wir sind hier nicht in Japan.«
»Ich will untersucht werden!«, forderte Doreuil. Ihre Stimme hörte sich fremd und schrill an.
»Zurzeit fehlen uns sowohl die Geräte als auch das Personal dafür. Aber, wie gesagt, Sie brauchen keine Angst zu haben. In Saint-Laurent ist nichts …«
»Ich habe aber Angst!«, rief sie. »Warum wurden wir dann evakuiert?«
»Sagte ich doch schon«, erwiderte der Mann jetzt deutlich schroffer. »Vorbeugend.« Er wandte sich wieder seinen Konserven zu.
Annette Doreuil fühlte, wie ihr Körper bebte, ihr Gesicht glühte. Tränen stiegen in ihre Augen, und sie schloss kurz die Lider, um sie wegzudrücken.
Nahe Aachen
Eberhart und Carsten hatten noch in zwei anderen Ortschaften Lebensmittel verteilt. Währenddessen waren Manzano und Shannon im Wagen sitzen geblieben. Shannon hatte das Gefühl, dass seine Stirn nicht mehr ganz so heiß war. Vielleicht wirkten die Medikamente aus dem Krankenhaus doch langsam.
Am Himmel kündigte sich die Dämmerung an. Sie befanden sich kurz vor Aachen in locker bebautem Gebiet, das von Feldern und Wäldchen durchsetzt war, als Carsten so abrupt bremste, dass Shannon in den Sicherheitsgurt gepresst wurde. Als sie sich wieder aufrichtete, entdeckte sie einen Baum quer über der Straße liegen.
Neben Eberhart und Carsten wurden die Türen aufgerissen. Männerstimmen riefen. Shannon sah Gewehrläufe, dann Köpfe. Schals um das Gesicht gewickelt, Mützen und Kappen tief in die Stirn gezogen.
»Aussteigen!«, schrien die Vermummten und kletterten hoch. Carsten wollte den Rückwärtsgang einlegen, da schlug ihm einer der Bewaffneten mit dem Gewehr auf die Hand, ein anderer presste die Mündung gegen seinen Kopf. Mit einem Schmerzensschrei ließ Carsten den Schaltknüppel los und hob die Hände. Die Männer zerrten an ihm, fast wäre er aus dem Wagen gefallen, konnte sich gerade noch halten, stieg eilig herunter, wie Eberhart auf der anderen Seite. Von draußen hörte Shannon dumpfe Schläge und Schreie. Sie presste sich gegen die Rücklehne, instinktiv hob auch sie die Hände. Jetzt fuchtelten die Männer vor ihren Gesichtern mit den Waffen herum, schrien. Shannon löste Manzanos Gurt, versuchte, ihn so weit hochzuhieven, dass er allein aus dem Wagen kam. Ihren Seesack mit Manzanos Laptop warf sie über die Schulter. Ein Mann zog Manzano hinaus, wollte ihn hinunter auf die Straße stoßen. Shannon hielt Manzano zurück, schob sich an ihm vorbei, rief » Easy! Easy! «. Manzano kippte auf ihre Schultern, so konnte er mit ihr aussteigen, ohne dass er auf den Asphalt stürzte. Am Straßenrand krümmten sich Eberhart und Carsten auf dem Boden, einer hielt sich den Kopf, der andere seinen Schritt.
Den Fahrersitz hatte bereits einer der Vermummten eingenommen. Zwei weitere drängten drüben in die Kabine, auf der Beifahrerseite waren es noch einmal drei. Hinter sich schlugen sie die Türen zu.
Der Fahrer setzte zurück, steuerte den Lkw in einen Feldweg, wendete, fuhr in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
Zuerst Erpressung durch Eberhart, dann Überfall durch Fremde. So sah das also aus, wenn der Staat mit seinen Organen nicht mehr präsent war. Sie musste an frühere Schulkollegen in den Staaten denken, die sich inzwischen für die radikalen Staatsgegner der Tea Party begeisterten. Sie fragte sich, ob daheim inzwischen ähnliche Zustände herrschten. Anzunehmen war es. Verdammt, dachte sie, wir entwickeln uns gerade wirklich zurück zu Höhlenmenschen.
»Scheißkerle!«, brüllte
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