BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
angeblich nur in fremde Netzwerke einbrachen, um Sicherheitslücken aufzudecken, blieben sie doch Einbrecher. Black Hats stahlen und vandalisierten dann noch dazu.
»Außerdem demonstrierte er in den Neunzigerjahren für ›Mani pulite‹. Bei den Ausschreitungen gegen das Anti-G-8-Treffen in Genua wurde er sogar verhaftet.«
»Könnte er mit der Sache zu tun haben?«
Bollard musste sich eingestehen, dass er daran noch nicht gedacht hatte.
»Sie meinen, dass er ein schlechtes Gewissen bekam, als er die Auswirkungen erkannte?«
»Wir sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen«, sagte Ruiz. »Falls es so wäre, könnte er uns vielleicht zu den Drahtziehern beziehungsweise seinen Komplizen führen.«
»Aber er kann genauso gut nichts damit zu tun haben.«
»Wenn er sauber ist und so gut, wie Sie sagen, kann er uns vielleicht helfen. Er hat es schon einmal getan. Wir werden in dieser Sache jeden guten Mann brauchen, auch freie Mitarbeiter. Und falls er an der Sabotage beteiligt ist, hätten wir ihn in unserer Nähe und können ihn perfekt überwachen.«
»Holen uns damit aber den Feind womöglich ins Haus«, wandte Bollard ein. Der Gedanke, mit einem Linksrevoluzzer wie diesem Italiener zusammenarbeiten zu müssen, gefiel ihm gar nicht.
»Da ist er gut aufgehoben«, sagte Ruiz. »Kümmern Sie sich darum.«
Kommandozentrale
Die Antwort des Europol-Direktors überraschte ihn. Das scharfkantige Gesicht des Mannes mit den kurzen, grauen Haaren auf dem Bildschirm zeigte dabei keine außergewöhnliche Regung. Ähnlich unbeteiligt blieben die Gesichter des Teams, das sich in dem Besprechungsraum vor der Kamera versammelt hatte, um mit dem Direktor zu konferieren.
Dass ausgerechnet der Bürokratenladen Europol so aufgeschlossen war. Sie wollen sich beweisen, dachte er, deshalb griffen sie nach jedem Strohhalm. Er war gespannt, wann Berlin, Paris und die anderen wie aufgeschreckte Hühner auf dem Bildschirm zu sehen sein würden.
Sollten sie den Italiener doch holen. Auch wenn er ihren Zeitplan ein wenig durcheinandergebracht hatte, er würde Europol nicht helfen können. Das würden sie schon noch merken. Sie ahnten nach wie vor nicht, was auf sie zukam. Dabei hatten sie damit rechnen müssen. Sie konnten doch nicht erwarten, dass man sie ewig so weitermachen ließ. Die Zeichen standen seit Jahren an der Wand. Alle hatten gedacht, sie nicht ernst nehmen zu müssen. Jetzt würden sie erfahren, was Hilflosigkeit bedeutete. Das war erst der Anfang.
Ischgl
Angström hatte das Gefühl, aus einem gigantischen Kopf zu bestehen, an dem ihr Körper wie ein Wurmfortsatz hing. Ein Wunder, dass das Kissen über ihn passte. Im anderen Bett hörte sie Fleur atmen. Vorsichtig öffnete sie die Augen millimeterweit und linste unter dem Kissen hervor. Durch die rot-weiß karierten Vorhänge fiel gedämpftes orangefarbenes Licht in ihre Schlafstube, das in Angströms Augen wie eine Leuchtreklame glühte. Sie schloss die Lider wieder und verfluchte den Punsch. Behutsam setzte sie sich auf und stellte die Füße auf den Boden. Er war kalt. Sie tappte auf die Toilette. Erschrak über die eisige Klobrille. Spülte. Nichts. Dann erinnerte sie sich wieder. Also noch immer kein Strom. Sie schüttete Wasser aus dem Eimer nach, den sie in der Toilette aufgestellt hatten. Ging ins Bad. Hielt sich nicht lange mit einem Blick in den Spiegel auf. Eine heiße Dusche wäre jetzt fein, dachte sie. Stattdessen wusch sie sich das Gesicht mit Schneewasser. Immerhin machte sie das wach. In ihrem Kulturbeutel fand sie eine Kopfschmerztablette. Sie richtete an ihrem Gesicht notdürftig, was zu retten war, frisierte sich, ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich leise an. Fleur schlief unbeeindruckt weiter. In bequemen Jeans und Norwegerpulli stieg Angström hinunter in die Stube. Sie war die Erste. Im Kachelofen lagen nur noch ein paar verkohlte Holzreste. Als sie hineinblies, glommen sie auf. Angström legte zwei Holzscheite nach, ließ die Tür offen für den Luftzug.
Das Arrangement des Hüttchens sah Frühstückslieferung an die Tür vor. Angström war neugierig, ob es auch unter den gegebenen Umständen eingehalten würde.
Draußen schien die Sonne. Sie war gerade über den gegenüberliegenden Gipfel gestiegen, das Tal unten lag noch im Schatten. Der weiße Schnee blendete Angström zwar, aber sie genoss die warmen Strahlen auf der Haut. Auf der Fußmatte vor der Tür stand ein Picknickkorb. Sie bückte sich, fand dunkles Brot, Butter,
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